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Hier sollen
zwei Ursachen betrachtet werden: (1) die zunehmende globale
Bevölkerungsdichte – weil diese sehr häufig als
die Ursache genannt wird; (2) die zunehmende globale
Innovationsgeschwindigkeit – weil diese noch zu selten als
Ursache genannt wird.
(1)
Die zunehmende globale Bevölkerungsdichte
Die
Zahl der Menschen im Biotop Erde ist groß und nimmt weiter
zu – allein aus diesem Grund sind ökologische und
soziale Krisen in globalem Ausmaß zu befürchten.
Die Ökosphäre der Erde verliert wahrscheinlich
ihre Menschenfreundlichkeit, wenn wir ihre Quellen und ihre
Senken überbeanspruchen, das heißt: wenn wir
einerseits die nachwachsenden und nicht-nachwachsenden
Ressourcen plündern, andrerseits mehr und mehr Abfälle,
Abgase und Rückstände, die nicht oder nur langsam
rezykliert werden, in die Umgebung entlassen.
Die
menschlichen Gesellschaften kippen wahrscheinlich in
barbarische, chaotische oder totalitäre Zustände, wenn
unsere sozialen und kommunikativen Kompetenzen durch zu großen
Dichtestress in zu großen Gesellschaften überlastet
werden und der Wettbewerb um Lebensgrundlagen scheinbar immer
zwingender und damit immer aggressiver wird.
Theoretisch
könnte beides, Raubbau und Streit, weitgehend vermieden
werden durch ein weltweites kooperatives Verhalten.
Offensichtlich aber reichen unsere seelischen Kompetenzen für
Kommunikation und Gemeinschaftsbildung (noch) nicht hin; ein
belastbares „Wir“ braucht immer noch den
persönlichen Kontakt und einen gemeinsamen Mythos. Die
interkulturellen persönlichen Kontakte haben schon stark
zugenommen, aber die neue Erzählung von der globalen
Menschengemeinschaft klingt noch zu
unglaublich.
Selbstverständlich kann unsere
Zivilisation allein an Raubbau, Umweltzerstörung und Krieg
scheitern. Aber es gibt ein fundamentaleres Problem:
(2)
Die zunehmende globale Innovationsgeschwindigkeit
Nehmen
wir einmal an, wir hätten Raubbau und Krieg überwunden
und würden nun in globaler Kooperation ökologisch
nachhaltig wirtschaften und das Erwirtschaftete gerecht
verteilen, so dass niemand mehr Not leiden muss. Es bliebe nur
noch unsere Lust, die Welt weiter zu verbessern: unsere Lust auf
„Fortschritt“.
Fortschritt: Die ganze
Evolution des Lebens auf Erden ist ein stetiges, manchmal auch
unstetiges Fortschreiten des Wandels, der eine unglaublich gut
funktionierende Komplexität hervorgebracht hat. Wir sagen:
Der Fortschritt hat „aufwärts“ geführt,
und wir neigen zu der Ansicht, dass Fortschritt immer
„aufwärts“ führt. Er kann aber auch
„abwärts“ führen. Dazu braucht es nicht
einmal Raubbau und Krieg.
„Aufwärts“
bedeutet: eine dauerhaft funktionierende Komplexität
erreicht immer höhere Stufen. „Abwärts“
bedeutet: Die höheren Stufen der Komplexität brechen
ein, der Fortschritt fällt auf niedrigere, primitivere
Stufen zurück. Frage: Welche Bedingungen müssen
erfüllt sein, damit der Fortschritt in so komplexen
dynamischen Systemen wie unserer irdischen Biosphäre oder
unseren menschlichen Kulturen „aufwärts“ führen
kann?
Wenn ich davon ausgehe, dass das Werden unserer
Welt als ein Prozess der Selbstorganisation beschrieben werden
kann, als ein Fortschreiten der Wirklichkeit im Raum der
Möglichkeiten, bei dem ständig Neues erscheint und bei
dem aus all den gefundenen Möglichkeiten diejenigen
ausgelesen werden, die sich bewähren, dann ergeben sich
logischerweise zwei Grundbedingungen: Vielfalt und
Gemächlichkeit (ich übernehme diese beiden
Schlagwörter von Peter
Kafka). Vielfalt bedeutet: Die
Wirklichkeit muss an sehr vielen verschiedenen Stellen auf
ganz unterschiedliche Weise experimentieren können,
damit sie in der großen Menge der Neuerungen auch immer
wieder auf die seltenen Besserungen stoßen kann.
Gemächlichkeit bedeutet: Das Bessere
(„Aufwärtsführende“) kann nur gefunden
werden, wenn es sich selbst als solches herausstellen kann, wenn
es also genügend Zeit hat, sich als solches zu bewähren.
Die Auslese des sich bewährenden „Guten“
aus der Menge des „Neuen“ ist ein langwieriger
Prozess. Die Zeitskala der „aufwärts“ führenden
Evolution erstreckt sich über viele Generationen.
Kurzfristig setzt sich aber meist etwas anderes durch: das
Größere und das Schnellere. Das Größere
(Mächtigere, Einflussreichere) und Schnellere (Findigere)
hat gegenüber dem Kleineren und Langsameren manche
„selektive Vorteile“, zumindest auf kurze Sicht. Auf
dieser viel kürzeren Zeitskala haben wir Menschen uns als
Spezies hervorgetan: Durch unsere Findigkeit und immer größere
Gestaltungsmacht sind wir zu den „Anführern der
Evolution“ geworden – aber eben nur auf dieser
Zeitskala der Kurzfristigkeit. Der von uns in Gang gesetzte
beschleunigte Fortschritt (die kulturelle oder geistige
Evolution) gerät nun aber zunehmend in Widerspruch zur
gemächlichen Evolution des Gesamtgefüges „Gaia“,
das nach wie vor unsere Lebensgrundlage, unser Wirtsorganismus
ist.
Wachstum und Beschleunigung verhindern jegliche
Bewährung, wenn wir, die Menschen, unsere Welt innerhalb
einer einzigen Generation global und in zunehmender
Vereinheitlichung umgestalten. Mit dem Neuen kann keine Erhöhung
der funktionierenden Komplexität mehr gewonnen werden. Was
zunimmt, ist eine immer schlechter funktionierende
Kompliziertheit. Es kommt zu einem „abwärts“
führenden Fortschritt: Wir werden überschwemmt mit
Unbewährtem, wir erleben einen Verlust an zuverlässiger
Ordnung. Wenn das, was gestern neu war, keine Zeit hatte, sich
zu bewähren und auszureifen, kann es keine solide Grundlage
bilden für das, was heute neu dazukommt. Das Neue passt mit
dem Alten immer weniger auf lebensfähige Weise zusammen.
Immer umfassendere Probleme entstehen immer schneller, unsere
Problemlösungsversuche bleiben immer weiter zurück und
erzeugen immer noch mehr neue Probleme. Dann multiplizieren und
potenzieren sich die Fehler, die dem Unbewährten ja fast
immer anhaften, gegenseitig – die Stabilität des
Systems geht verloren, die Gefahr eines Misslingens wird sehr
groß. Peter Kafka nannte dieses Stadium globale
Beschleunigungskrise.
Um
Missverständnissen vorzubeugen: Es bedeutet keine Gefahr
für die ganze Welt, wenn an vielen kleinen Stellen der
großen Vielfalt etwas misslingt, denn dann kann aus den
Fehlern gelernt werden. Lokal begrenztes Chaos durch unbewährte
Innovationen ist ein sehr häufig vorkommendes Ereignis, das
neue kreative Prozesse in Gang setzt, sofern Zeit für
Regeneration bleibt. Eine hohe Innovationsgeschwindigkeit muss
also nicht ins Chaos führen, wenn sie keine globale
„Gleichschaltung“ bewirkt und nicht die Vielfalt
kleiner, relativ unabhängiger Untereinheiten beseitigt. –
Es bedeutet auch keine Gefahr für die ganze Welt, wenn eine
bewährte Innovation sich in einem gemächlichen
Verbreitungsprozess immer aufs Neue bewährt und global
durchsetzt. Auch die vereinheitlichende Globalisierung
menschlicher Kulturleistungen wäre wahrscheinlich kein
Problem, wenn sie gemächlich vonstatten ginge im Laufe von
Generationen; eine regionale Vielfalt in den Lebensäußerungen
dieser Kultur könnte teils erhalten bleiben, teils sich neu
herausbilden. Das „Problem mit der Komplexität“
wird dann übermächtig, wenn die globale
Innovationsgeschwindigkeit eine kritische Grenze übersteigt,
wenn wir unsere Welt also gleichzeitig schnell und im Großen
verändern – was offenbar in unserer Zeit geschieht.
Wir setzen dabei nicht mehr nur uns selbst, unsere
Seelen, unsere menschlichen Gemeinschaften unter Druck. Wir
Menschen sind jetzt reich genug an Zahl, an Know-how und an
Energie, um auch „Gaia“, unsere Mutter Erde, unter
Stress zu bringen. Durch unsere eiligen „Verbesserungen“
und Problemlösungsversuche stören wir mehr und mehr
die in Erdzeitaltern gewachsene, gut eingespielte, gut
funktionierende Komplexität der ökologischen
Regelkreise. Wir haben eine beschleunigte Evolution „auf
eigene Rechnung“ in Gang gesetzt, die wie eine bösartige
Neubildung in Gaias Organismus wirkt. Eine große und
mächtige Kultur verdrängt alle kulturelle Vielfalt und
bringt mit hoher Innovationsgeschwindigkeit vor allem eine
globale Vereinheitlichung des Lebensstils und des Umgangs mit
unseren Lebensgrundlagen hervor. Technische und
gesellschaftliche Experimente werden zu großtechnischen
und weltinnenpolitischen Versuchen mit unbekanntem Ausgang.
Globalisierung in dieser Geschwindigkeit bedeutet: Wir beginnen,
in „Einfalt“ und „Raserei“ mit dem
ganzen Globus zu experimentieren. Wir setzen „Gaias“
Menschenfreundlichkeit aufs Spiel. Die Gewinnchancen in diesem
Spiel sind für uns Menschen gering. Wir sollten dieses
Spiel schleunigst beenden.
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