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Weiter gegen den Untergang


Eine Auffrischung


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Ernst Weeber




Übervölkerung und globale Beschleunigungskrise



Wie ich mir die Krise erkläre






Hier sollen zwei Ursachen betrachtet werden:
(1) die zunehmende globale Bevölkerungsdichte – weil diese sehr häufig als die Ursache genannt wird;
(2) die zunehmende globale Innovationsgeschwindigkeit – weil diese noch zu selten als Ursache genannt wird.

(1) Die zunehmende globale Bevölkerungsdichte

Die Zahl der Menschen im Biotop Erde ist groß und nimmt weiter zu – allein aus diesem Grund sind ökologische und soziale Krisen in globalem Ausmaß zu befürchten.

Die Ökosphäre der Erde verliert wahrscheinlich ihre Menschenfreundlichkeit, wenn wir ihre Quellen und ihre Senken überbeanspruchen, das heißt: wenn wir einerseits die nachwachsenden und nicht-nachwachsenden Ressourcen plündern, andrerseits mehr und mehr Abfälle, Abgase und Rückstände, die nicht oder nur langsam rezykliert werden, in die Umgebung entlassen.

Die menschlichen Gesellschaften kippen wahrscheinlich in barbarische, chaotische oder totalitäre Zustände, wenn unsere sozialen und kommunikativen Kompetenzen durch zu großen Dichtestress in zu großen Gesellschaften überlastet werden und der Wettbewerb um Lebensgrundlagen scheinbar immer zwingender und damit immer aggressiver wird.

Theoretisch könnte beides, Raubbau und Streit, weitgehend vermieden werden durch ein weltweites kooperatives Verhalten. Offensichtlich aber reichen unsere seelischen Kompetenzen für Kommunikation und Gemeinschaftsbildung (noch) nicht hin; ein belastbares „Wir“ braucht immer noch den persönlichen Kontakt und einen gemeinsamen Mythos. Die interkulturellen persönlichen Kontakte haben schon stark zugenommen, aber die neue Erzählung von der globalen Menschengemeinschaft klingt noch zu unglaublich.

Selbstverständlich kann unsere Zivilisation allein an Raubbau, Umweltzerstörung und Krieg scheitern. Aber es gibt ein fundamentaleres Problem:

(2) Die zunehmende globale Innovationsgeschwindigkeit

Nehmen wir einmal an, wir hätten Raubbau und Krieg überwunden und würden nun in globaler Kooperation ökologisch nachhaltig wirtschaften und das Erwirtschaftete gerecht verteilen, so dass niemand mehr Not leiden muss. Es bliebe nur noch unsere Lust, die Welt weiter zu verbessern: unsere Lust auf „Fortschritt“.

Fortschritt: Die ganze Evolution des Lebens auf Erden ist ein stetiges, manchmal auch unstetiges Fortschreiten des Wandels, der eine unglaublich gut funktionierende Komplexität hervorgebracht hat. Wir sagen: Der Fortschritt hat „aufwärts“ geführt, und wir neigen zu der Ansicht, dass Fortschritt immer „aufwärts“ führt. Er kann aber auch „abwärts“ führen. Dazu braucht es nicht einmal Raubbau und Krieg.

„Aufwärts“ bedeutet: eine dauerhaft funktionierende Komplexität erreicht immer höhere Stufen. „Abwärts“ bedeutet: Die höheren Stufen der Komplexität brechen ein, der Fortschritt fällt auf niedrigere, primitivere Stufen zurück. Frage: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Fortschritt in so komplexen dynamischen Systemen wie unserer irdischen Biosphäre oder unseren menschlichen Kulturen „aufwärts“ führen kann?

Wenn ich davon ausgehe, dass das Werden unserer Welt als ein Prozess der Selbstorganisation beschrieben werden kann, als ein Fortschreiten der Wirklichkeit im Raum der Möglichkeiten, bei dem ständig Neues erscheint und bei dem aus all den gefundenen Möglichkeiten diejenigen ausgelesen werden, die sich bewähren, dann ergeben sich logischerweise zwei Grundbedingungen: Vielfalt und Gemächlichkeit (ich übernehme diese beiden Schlagwörter von Peter Kafka). Vielfalt bedeutet: Die Wirklichkeit muss an sehr vielen verschiedenen Stellen auf ganz unterschiedliche Weise experimentieren können, damit sie in der großen Menge der Neuerungen auch immer wieder auf die seltenen Besserungen stoßen kann. Gemächlichkeit bedeutet: Das Bessere („Aufwärtsführende“) kann nur gefunden werden, wenn es sich selbst als solches herausstellen kann, wenn es also genügend Zeit hat, sich als solches zu bewähren.

Die Auslese des sich bewährenden „Guten“ aus der Menge des „Neuen“ ist ein langwieriger Prozess. Die Zeitskala der „aufwärts“ führenden Evolution erstreckt sich über viele Generationen. Kurzfristig setzt sich aber meist etwas anderes durch: das Größere und das Schnellere. Das Größere (Mächtigere, Einflussreichere) und Schnellere (Findigere) hat gegenüber dem Kleineren und Langsameren manche „selektive Vorteile“, zumindest auf kurze Sicht. Auf dieser viel kürzeren Zeitskala haben wir Menschen uns als Spezies hervorgetan: Durch unsere Findigkeit und immer größere Gestaltungsmacht sind wir zu den „Anführern der Evolution“ geworden – aber eben nur auf dieser Zeitskala der Kurzfristigkeit. Der von uns in Gang gesetzte beschleunigte Fortschritt (die kulturelle oder geistige Evolution) gerät nun aber zunehmend in Widerspruch zur gemächlichen Evolution des Gesamtgefüges „Gaia“, das nach wie vor unsere Lebensgrundlage, unser Wirtsorganismus ist.

Wachstum und Beschleunigung verhindern jegliche Bewährung, wenn wir, die Menschen, unsere Welt innerhalb einer einzigen Generation global und in zunehmender Vereinheitlichung umgestalten. Mit dem Neuen kann keine Erhöhung der funktionierenden Komplexität mehr gewonnen werden. Was zunimmt, ist eine immer schlechter funktionierende Kompliziertheit. Es kommt zu einem „abwärts“ führenden Fortschritt: Wir werden überschwemmt mit Unbewährtem, wir erleben einen Verlust an zuverlässiger Ordnung. Wenn das, was gestern neu war, keine Zeit hatte, sich zu bewähren und auszureifen, kann es keine solide Grundlage bilden für das, was heute neu dazukommt. Das Neue passt mit dem Alten immer weniger auf lebensfähige Weise zusammen. Immer umfassendere Probleme entstehen immer schneller, unsere Problemlösungsversuche bleiben immer weiter zurück und erzeugen immer noch mehr neue Probleme. Dann multiplizieren und potenzieren sich die Fehler, die dem Unbewährten ja fast immer anhaften, gegenseitig – die Stabilität des Systems geht verloren, die Gefahr eines Misslingens wird sehr groß. Peter Kafka nannte dieses Stadium globale Beschleunigungskrise.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es bedeutet keine Gefahr für die ganze Welt, wenn an vielen kleinen Stellen der großen Vielfalt etwas misslingt, denn dann kann aus den Fehlern gelernt werden. Lokal begrenztes Chaos durch unbewährte Innovationen ist ein sehr häufig vorkommendes Ereignis, das neue kreative Prozesse in Gang setzt, sofern Zeit für Regeneration bleibt. Eine hohe Innovationsgeschwindigkeit muss also nicht ins Chaos führen, wenn sie keine globale „Gleichschaltung“ bewirkt und nicht die Vielfalt kleiner, relativ unabhängiger Untereinheiten beseitigt. – Es bedeutet auch keine Gefahr für die ganze Welt, wenn eine bewährte Innovation sich in einem gemächlichen Verbreitungsprozess immer aufs Neue bewährt und global durchsetzt. Auch die vereinheitlichende Globalisierung menschlicher Kulturleistungen wäre wahrscheinlich kein Problem, wenn sie gemächlich vonstatten ginge im Laufe von Generationen; eine regionale Vielfalt in den Lebensäußerungen dieser Kultur könnte teils erhalten bleiben, teils sich neu herausbilden. Das „Problem mit der Komplexität“ wird dann übermächtig, wenn die globale Innovationsgeschwindigkeit eine kritische Grenze übersteigt, wenn wir unsere Welt also gleichzeitig schnell und im Großen verändern – was offenbar in unserer Zeit geschieht.

Wir setzen dabei nicht mehr nur uns selbst, unsere Seelen, unsere menschlichen Gemeinschaften unter Druck. Wir Menschen sind jetzt reich genug an Zahl, an Know-how und an Energie, um auch „Gaia“, unsere Mutter Erde, unter Stress zu bringen. Durch unsere eiligen „Verbesserungen“ und Problemlösungsversuche stören wir mehr und mehr die in Erdzeitaltern gewachsene, gut eingespielte, gut funktionierende Komplexität der ökologischen Regelkreise. Wir haben eine beschleunigte Evolution „auf eigene Rechnung“ in Gang gesetzt, die wie eine bösartige Neubildung in Gaias Organismus wirkt. Eine große und mächtige Kultur verdrängt alle kulturelle Vielfalt und bringt mit hoher Innovationsgeschwindigkeit vor allem eine globale Vereinheitlichung des Lebensstils und des Umgangs mit unseren Lebensgrundlagen hervor. Technische und gesellschaftliche Experimente werden zu großtechnischen und weltinnenpolitischen Versuchen mit unbekanntem Ausgang. Globalisierung in dieser Geschwindigkeit bedeutet: Wir beginnen, in „Einfalt“ und „Raserei“ mit dem ganzen Globus zu experimentieren. Wir setzen „Gaias“ Menschenfreundlichkeit aufs Spiel. Die Gewinnchancen in diesem Spiel sind für uns Menschen gering. Wir sollten dieses Spiel schleunigst beenden.









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