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Weiter gegen den Untergang


Eine Auffrischung


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Ernst Weeber




Krise heißt Entscheidung



Woher ich meine Zuversicht nehme






Ich habe begründet, weshalb ich die globale Lage der Menschheit für eine kritische halte. Krise bedeutet, dass die Entwicklung einen Punkt erreicht, von dem aus sie in unterschiedliche Richtungen kippen kann: in unerwünschte („Scheitern“) oder in wünschenswerte („Weiterkommen“). Die verschiedenen Möglichkeiten liegen sehr nahe beieinander, der Ausgang der Krise kann deshalb nicht vorausgesagt werden. Nicht einmal Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Szenarien können in der Krise „realistisch“ eingeschätzt werden, denn eine Krise bringt überraschend schnell überraschend neue Realitäten hervor, die alle angestellten Berechnungen zunichte machen. Die Krisensituation der menschlichen Zivilisation stellt sich allerdings so komplex bzw. kompliziert dar, dass eine wünschenswerte Lösung für viele sehr realistisch urteilende Menschen nicht mehr vorstellbar ist. Wie kann ich ihnen gegenüber noch Zuversicht begründen?

Unsere Vorstellungen sind begrenzt
Unsere Vorstellungen von den Möglichkeiten – sowohl des Scheiterns als auch des Weiterkommens – sind sehr begrenzt. Scheinbare Möglichkeiten des Weiterkommens können sich als sehr gefährlich erweisen oder als Sackgassen, die zum Umkehren nötigen. Andrerseits kann mir eine Situationen nur deshalb ausweglos erscheinen, weil ich die weiterführenden Möglichkeiten erst dann entdecken kann, wenn ich ihnen nahe genug gekommen bin. Wir sollten uns die globale Lage der Menschheit nicht als Sackgasse in einem Labyrinth aus steinernen Mauern verbildlichen. Wir bewegen uns in einem sehr komplexen, dynamischen, lebendigen System, in dem Mauern aus Stein und Beton wenig ausrichten – die am meisten verhärteten, unflexiblen Strukturen, die uns die globale Lage der Menschheit als aussichtslos erscheinen lassen, sind möglicherweise die Vorstellungen in unseren Köpfen. Wir sollten gerade in der Krise damit rechnen, dass sich sehr unerwartet neue Perspektiven öffnen, mit denen niemand rechnen konnte.

Große Veränderungen bahnen sich im Kleinen an
In einem komplexen dynamischen System entstehen große Veränderungen oft aus unscheinbaren Keimen, aus kleinen Ansätzen im „richtigen Moment“ (zeitlich und örtlich); das „richtig“ kann dabei nicht vorausberechnet werden, es kann sich nur in einer großen Vielfalt von Versuchen zeigen, es fällt uns gewissermaßen zu. Unsere Welt ist kein titanisches, schweres Schiff, das seinen unheilvollen Kurs nicht mehr schnell genug ändern kann, weil es der Gefahr schon zu nahe ist und es keine Kraft mehr gibt, die groß genug wäre, um die träge Masse in eine andere Richtung zu lenken. Wir erschrecken vor Gefahren, die bedrohlich in Sichtweite kommen und Unannehmlichkeiten so wahrscheinlich werden lassen, dass sie uns als unvermeidlich erscheinen. Doch die Welt ist ein komplexes Geschehen, und das ist nicht mit einer trägen Masse zu vergleichen. Schon das Erschrecken bewirkt etwas.

Die Krise eröffnet neue Freiheitsgrade
Die Krise konfrontiert uns mit Möglichkeiten des Absturzes, die erschreckend wahrscheinlich werden. Der Schrecken und die emotionale Aufruhr korrodieren unsere Denkzwänge und Gewohnheiten. Der Absturz selbst ist wahrscheinlich kein einmaliges Ereignis, das alles zerstört; die globale Beschleunigungskrise zeigt sich in einer Vielfalt von Krisenerscheinungen, die immer mehr Menschen in Mitleidenschaft ziehen und Schmerzen verursachen. Schmerzliche, kritische Situationen drängen uns nicht selten dazu, Denk- und Handlungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, die wir bis dahin gemieden, geschmäht, verboten oder gar nicht gesehen haben. Somit eröffnet die Krise neue Freiheitsgrade – zunächst im Denken. Die Not lehrt uns, alte Ideen loszulassen, wenn sie sich als obsolet erweisen, und „bessere Ideen“ ernsthaft in Erwägung zu ziehen. „Ernsthaft“ bedeutet, dass sie sich aufs Handeln auswirken.

Die Komplexität verhindert „Zementierung“
Viele „reale Verhältnisse“, insbesondere Machtverhältnisse in der globalen Menschengesellschaft, erscheinen uns „zementiert“. Doch die Härte des „Zements“ täuscht. Wir wissen, dass sich in den Ritzen kompakter und scheinbar lebloser Massen fruchtbarer Staub fängt und allmählich sich auch wieder Pflanzen ansiedeln. Wir wissen, dass die Witterung im Lauf der Zeit Asphaltdecken erodiert und zarten Gewächsen zum Durchbruch verhilft. Wahrscheinlich muss sich nicht erst ein Erdbeben ereignen, um die verhärteten Strukturen in unseren Köpfen und Gesellschaften aufzubrechen. Wahrscheinlich setzt das Beben der Menschengesellschaft in erträglichen Schüben genügend erodierende Kräfte frei. Diese Hoffnung beruht auf der Gewissheit, dass die eigentliche Weltordnung sehr komplex ist und sich selbst auf kaum vorhersehbare Weise immer wieder neu organisiert – auch durch das ebenso komplexe Geschehen in den Köpfen der Menschen. Die dafür nötigen Freiheitsgrade entstehen ständig aufs Neue durch unvorhersehbare Ereignisse, durch die eingespielte Regelkreise immer wieder infrage gestellt werden. Um diese Tendenz komplexer dynamischer Systeme zur heilsamen Selbstorganisation zu unterdrücken, die Strukturen „hart“ und alle Freiheitsgrade unter Kontrolle zu halten, muss eine künstliche Ordnungsmacht enorm viel Energie aufwenden. Im Zeitalter der globalen Krise wird dies immer schwieriger.

Konstruktive Prozesse sind vielerorts bereits am Werk
Zahllose Initiativen sind weltweit entstanden und weiter am Entstehen, die an der Verwirklichung sogenannter Utopien arbeiten, indem sie „bessere Ideen“ aufgreifen und pionierhaft erproben. Diese Initiativen wirken zunehmend vernetzt, also sich gegenseitig verstärkend, und ihre Lernprozesse wirken sich mehr und mehr auf den kulturellen und politischen Mainstream aus.

Die Lernfähigkeit der Menschen ist groß
– andernfalls wären sie nicht so erfolgreich gewesen. Es sind hauptsächlich die Großhirnfähigkeiten des Menschen, die ihn so erfolgreich werden ließen, dass er sogar die Resilienz des globalen Ökosystems bedroht. Wenn das Lernpotenzial der Menschheit ihrer Fähigkeit, Entropie zu erzeugen, entspricht, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Rande der eigenen Vernichtung bessere Ideen nicht nur gefunden, sondern auch verwirklicht werden können.

Der Gemeinschaftssinn der Menschen ist groß
Soziales Verhalten ist tief in uns verankert. Wir Menschen sind gemeinschaftshungrig, wir möchten uns zusammengehörig fühlen. Das zeigt sich an den vielen gemeinschaftlichen Aktivitäten und Traditionen, an unserem „Herdenverhalten“ und – in „verdrehter“ Form – auch an chauvinistischen, faschistischen und rassistischen Entgleisungen dieser Veranlagung, bei denen das Bedürfnis nach Abgrenzung pervertiert. Doch der organische Zusammenhang zwischen Einheit (Gemeinschaft) und Vielfalt (von Untereinheiten) wird von immer mehr Menschen erkannt.

Sogar Visionen sind wirksam
– weil sich das Denken sehr stark auf das Handeln auswirkt. Es ist nicht nur das Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein prägt; das Bewusstsein kann neben den Umständen des Seins auch Möglichkeiten erwägen und wirkt damit verändernd auf das Sein zurück. Insbesondere wenn das Sein in eine kritische Instabilität gerät, können die Bewegungen des Bewusstseins im Denken ausschlaggebend werden. In dieser Situation ist es also von Bedeutung, bessere Ideen wenigstens zu denken, auch wenn sie noch utopisch erscheinen. Aus dem Denken entsteht Handeln. Auch der Zusammenhang zwischen Kopf, Herz, Bauch und Hand ist ein komplexer!

Die „öffentliche Meinung“ ist ein schwingendes System
Der geistige Mainstream, der vorherrschende „Zeitgeist“, ist ein komplexes dynamisches und daher sehr wandlungsfähiges System. Was heute noch „undenkbar“ erscheint, ist morgen plötzlich in allen Köpfen. Die Einsicht, die ich mir selbst zutraue, darf ich auch anderen zutrauen; das, was ich als „meine“ Einsicht erfahre, besteht überwiegend aus Gedanken, die ich von anderen übernommen habe. „Einsicht“ ist etwas Diffundierendes und Ansteckendes. Es ist daher möglich, dass eine entscheidende Mehrheit der Menschen – auch in den noch wohlhabenden bürgerlichen Demokratien! – über die Absurdität der Systemzwänge des business as usual so weit aufgeklärt und so politisch aktiv wird, dass die Macht der Besitzenden überwunden und die Rahmenbedingungen der Wirtschaft auf dem friedlichen Wege politischer Mehrheitsentscheidung geändert werden können.

Fazit
Die beängstigende Macht der Umstände beginnt im Zeitalter der globalen Beschleunigungskrise zu bröckeln. Die Macht der Gewohnheiten oder der totalitären Ordnung wird durch zunehmend chaotische Ereignissen destabilisiert. Auch hier können schon kleine Einflüsse neue Entwicklungsrichtungen bewirken und Sach- oder andere Zwänge aufsprengen. Veränderungen der Gleichgewichtslagen werden wahrscheinlich. Mit dem Bröckeln der alten Strukturen nimmt auch die Hektik der Ausbesserungsarbeiten zu. Vermutlich werden noch einige der alten Gebäude – der alten Hierarchien und Weltbilder – einstürzen müssen, bevor die notwendige Sanierung der Fundamente in die Wege geleitet werden kann. Es ist jedoch gar nicht so unwahrscheinlich, dass das zu befürchtende Chaos der Menschengesellschaft die schlimmsten Manipulations- und Ausbeutungssysteme zusammenbrechen lässt, bevor Gaias Menschenfreundlichkeit restlos überlastet ist.









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