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Kann
man heute noch zuversichtlich sein, wenn man realistisch bleiben
möchte? – Das ist die Frage, die mich umtreibt. Die
Antwort auf diese Frage hängt natürlich davon ab, was
ich unter „realistisch“ verstehe. Die globale Lage
der Menschheit wird von unterschiedlichen Menschen sehr
unterschiedlich eingeschätzt, aber wen immer ich frage, wie
er oder sie zu der jeweiligen eigenen Einschätzung gelangt
– ich werde die Antwort erhalten: durch eine realistische
Betrachtung der Verhältnisse.
Jede
und jeder hält die eigene Sicht der Wirklichkeit für
wahr, aber es kommen ganz unterschiedliche Ansichten dabei
heraus.
Die folgenden Einschätzungen kann ich nicht
teilen, sie passen mit meiner Sicht der Wirklichkeit nicht gut
zusammen. Aber ich interessiere mich für die darin zum
Ausdruck kommenden Lebenserfahrungen und
Weltanschauungen.
Zynische
Gelassenheit Der Natur ist es egal, ob
die Menschheit sich selbst aus der Evolution katapultiert oder
nicht, wird mir immer wieder mal gesagt. Das mag stimmen. In
der Diskussion über die globale Lage der Menschheit
erscheint mir diese Aussage aber nicht hilfreich. Sie klingt
sehr unbeteiligt, so, als könnte es uns Menschen ebenso
egal sein wie der Natur. Das „Hinauskatapultiertwerden“
könnte sich aber als ein ausgesprochen unangenehmes
Geschehen erweisen, an dem wir nicht nur als Zuschauer beteiligt
sind. Viele Landsleute in meinem schon etwas fortgeschrittenen
Alter trösten sich mit der Hoffnung, selbst nicht mehr
betroffen zu sein. Und die Kinder und Kindeskinder? Die müssen
für sich selbst sorgen. Hier geht die Zuschauerhaltung in
Verantwortungslosigkeit und Zynismus
über.
Anti-Alarmismus Dieser
Einschätzung nach sind die Warnungen vor der globalen
Krise, wie ich sie hier vertrete, übertrieben und daher als
„Alarmismus“ zu bezeichnen.
„Weltuntergangsstimmungen“ traten und treten in der
Menschheitsgeschichte immer wieder auf, aber ebenso wie früher
sind sie auch heute nicht real und nicht rational begründbar,
sondern nur psychologisch zu erklären. Die „globale
Krise“ ist gar keine wirkliche Krise, zumindest keine
existenziell bedrohliche. Der Einfluss menschlicher
Unternehmungen und Machenschaften auf die Ordnung der Natur ist
vernachlässigbar gering. Die Schöpfung ist zu groß,
als dass der Mensch allzu großen Schaden anrichten könnte.
– In dieser Auffassung kommt vermutlich eine tief sitzende
Erfahrung zum Ausdruck: Der Mensch war als Einzelner, als
Gruppe, sogar als Stamm und als Volk immer klein gegenüber
der „großen, weiten Welt“, immer war er den
Naturgewalten ausgesetzt, und über die örtlichen
Verwüstungen, die der Mensch selbst angerichtet hat, ist
immer wieder Gras gewachsen. Dass er nun in der Lage sein soll,
mehr Schaden anzurichten als jemals zuvor, ist leicht zu
erklären, aber schwer zu glauben.
Fatalismus Dieser
Einschätzung nach sind die globalen ökologischen und
sozialen Probleme überaus real und nicht mehr zu
bewältigen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Wer noch
daran glaubt, dass der Mensch oder die Verhältnisse sich
zum Besseren wenden könnten, ist unrealistisch.
Vorherrschend ist hier ein persönliches, aber
verallgemeinertes Ohnmachtsgefühl: Da kann man nichts
machen. Dieser Spruch entstammt vermutlich der
„nüchtern-realistischen“ Vorstellung, dass so
große Veränderungen des Mainstreams und der
Machtverhältnisse, wie sie jetzt nötig wären, nur
durch ebenso große und mächtige Maßnahmen
bewirkt werden können, während so kleine Einflüsse,
wie sie vom Einzelnen ausgehen können, wirkungslos bleiben.
Er eignet sich aber auch gut als Ausrede für die eigene
Bequemlichkeit. „Der Mensch ist eine Sackgasse der
Evolution“ – mit diesem Schluss verharrt der
Resignierte, solange es ihm persönlich noch leidlich gut
geht, in der Beobachterposition. Sollte die Not an die eigene
Haustür klopfen, wird der Spruch sich möglicherweise
umgehend verwandeln: So geht‘s nicht weiter! Da muss
unbedingt was getan werden!
Technikgläubigkeit Dieser
Einschätzung nach stehen wir tatsächlich vor nie da
gewesenen Herausforderungen, doch alle auftretenden Probleme
werden durch beschleunigten technischen Fortschritt gelöst.
Es mag sein, dass die Zahl der Probleme zunimmt, aber der
technische Fortschritt findet immer noch schneller Lösungen.
– Einen technischen Fortschrittsglauben dieser Art kann
ich nicht teilen. Der technische Fortschritt erzeugt immer
schneller immer kurzsichtigere Scheinlösungen, die auch
noch immer schneller globalisiert werden. Der Rattenschwanz der
ungelösten Probleme wird wahrscheinlich immer länger.
Zweifellos werden wir viele Probleme auch „technisch“
lösen müssen, doch die Technik muss in eine andere
Richtung fortschreiten: Sie muss sich dem Diktat einer
fehlgeleiteten Ökonomie entziehen und sich der Ökologie
unterordnen.
Ökonomismus
oder Markt-Fundamentalismus Dieser
Einschätzung nach müssen wir uns gesunde Ökosysteme
ebenso wie einen „Sozialstaat“ erst einmal leisten
können. Die globalen ökologischen und sozialen
Probleme werden unter rein ökonomischen Aspekten
abgehandelt. Umweltschutz wird überwiegend als
kostenintensive technische Herausforderung betrachtet und –
ebenso wie alle „Sozialleistungen“ –
ausschließlich unter dem Aspekt der Bezahlbarkeit gesehen:
Die nötigen Mittel müssen innerhalb der bestehenden
Marktwirtschaft aufgebracht werden. Das geht nur, wenn der
Fortschritt der technischen Machbarkeit weiter beschleunigt wird
und die Wirtschaft wächst. Das bestehende Wirtschaftssystem
wird als alternativlos angesehen. Grundbedingung für einen
wünschenswerten Fortschritt ist die Wettbewerbsfähigkeit.
Wesentlich für den sozialen Frieden ist, dass es genügend
Arbeitsplätze gibt. Forderungen, die darüber
hinausgehen, sind romantischer Art. Auch so was wie
„Umweltschutz“ darf auf keinen Fall die
Wettbewerbsverhältnisse verzerren. Ökologische
Bedenken sind zweitrangig. – Auch diese Sichtweise kann
ich nicht teilen. Eine gute Ökonomie ist für mich eine
Gemeinwohl-Ökonomie. Der Zwang zum Wirtschaftswachstum ist
ein systembedingtes Problem unserer Wirtschaftsweise und unseres
Geldsystems. Der notwendige Fortschritt muss unter anderem genau
diesen Zwang beseitigen. Dann werden neue Freiheitsgrade und
Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem
sichtbar.
Mythischer
Determinismus Dieser Einschätzung nach
steht die Entwicklung auf Erden unter dem ausschlaggebenden
Einfluss höherer geistiger oder kosmischer Mächte, von
denen „eingeweihte“ Menschen zu erzählen
wissen. Die Erzählungen vom Werden der Welt und vom Sinn
des Lebens entstammen einem älteren Erfahrungshintergrund,
werden in geheiligter Überlieferung erhalten und in
Offenbarungserlebnissen einfühlsamer Menschen immer wieder
erneuert. Von Christen wird heute noch gesagt: Der Mensch
versündigt sich zunehmend gegen den Willen Gottes und
vermehrt dadurch das Übel in der Welt. Ohne Gottes Hilfe
ist er verloren. Aber Gott wird nicht zulassen, dass seine
Schöpfung dem Bösen anheimfällt; eines Tages wird
er eingreifen und die Verhältnisse neu und gerecht ordnen.
– Ich achte die Erzählungen unserer Altvorderen und
erkenne in ihren bildhaften Darstellungen manch „tiefe“
Wahrheit. Aber die neuen Erfahrungen der Menschheit, ihr
verändertes Bewusstsein, ihre veränderte Sprache
erfordern neue „Übersetzungen“ der alten
Erzählungen, und sie bringen auch neue Erzählungen mit
sich. Die Bilder der christlichen „Heilsgeschichte“
und auch ihrer Apokalyptik berühren mich. Doch die alten
Erzählungen dokumentieren vor allem die
Herrschaftsverhältnisse der alten Gesellschaften, die
Hierarchien, die sich in den Erfahrungen oder Absichten der
alten Autoren spiegeln. Gerne überliefert werden auch
wohldefinierte Systeme zyklischer Zeitperioden und Zeitalter,
aus denen dann Wesentliches über Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft abgeleitet wird. Der Stand der Sonne, des Mondes,
der Planeten in den Sternbildern bietet sich als Takt- und
Sinngeber an. Auch kosmische Strahlungseinflüsse, zum
Beispiel aus dem Zentrum der Milchstraße, werden in
determinierender Weise kalkuliert. Ich habe nichts gegen die
Annahme „höherer“ Mächte und gehe davon
aus, dass das Geschehen auf Erden auch kosmischen Einflüssen
unterliegt. Ich glaube aber nicht, dass diese Mächte und
Einflüsse einen „Willen“ zeigen oder in einer
leicht durchschaubaren Regelmäßigkeit wirken.
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