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Weiter gegen den Untergang


Eine Auffrischung


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Ernst Weeber




Alarmismus? Naivität?



Andere Einschätzungen, denen ich häufig begegne






Kann man heute noch zuversichtlich sein, wenn man realistisch bleiben möchte? – Das ist die Frage, die mich umtreibt. Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich davon ab, was ich unter „realistisch“ verstehe. Die globale Lage der Menschheit wird von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich eingeschätzt, aber wen immer ich frage, wie er oder sie zu der jeweiligen eigenen Einschätzung gelangt – ich werde die Antwort erhalten: durch eine realistische Betrachtung der Verhältnisse.

Jede und jeder hält die eigene Sicht der Wirklichkeit für wahr, aber es kommen ganz unterschiedliche Ansichten dabei heraus.

Die folgenden Einschätzungen kann ich nicht teilen, sie passen mit meiner Sicht der Wirklichkeit nicht gut zusammen. Aber ich interessiere mich für die darin zum Ausdruck kommenden Lebenserfahrungen und Weltanschauungen.

Zynische Gelassenheit
Der Natur ist es egal, ob die Menschheit sich selbst aus der Evolution katapultiert oder nicht, wird mir immer wieder mal gesagt. Das mag stimmen. In der Diskussion über die globale Lage der Menschheit erscheint mir diese Aussage aber nicht hilfreich. Sie klingt sehr unbeteiligt, so, als könnte es uns Menschen ebenso egal sein wie der Natur. Das „Hinauskatapultiertwerden“ könnte sich aber als ein ausgesprochen unangenehmes Geschehen erweisen, an dem wir nicht nur als Zuschauer beteiligt sind. Viele Landsleute in meinem schon etwas fortgeschrittenen Alter trösten sich mit der Hoffnung, selbst nicht mehr betroffen zu sein. Und die Kinder und Kindeskinder? Die müssen für sich selbst sorgen. Hier geht die Zuschauerhaltung in Verantwortungslosigkeit und Zynismus über.

Anti-Alarmismus
Dieser Einschätzung nach sind die Warnungen vor der globalen Krise, wie ich sie hier vertrete, übertrieben und daher als „Alarmismus“ zu bezeichnen. „Weltuntergangsstimmungen“ traten und treten in der Menschheitsgeschichte immer wieder auf, aber ebenso wie früher sind sie auch heute nicht real und nicht rational begründbar, sondern nur psychologisch zu erklären. Die „globale Krise“ ist gar keine wirkliche Krise, zumindest keine existenziell bedrohliche. Der Einfluss menschlicher Unternehmungen und Machenschaften auf die Ordnung der Natur ist vernachlässigbar gering. Die Schöpfung ist zu groß, als dass der Mensch allzu großen Schaden anrichten könnte. – In dieser Auffassung kommt vermutlich eine tief sitzende Erfahrung zum Ausdruck: Der Mensch war als Einzelner, als Gruppe, sogar als Stamm und als Volk immer klein gegenüber der „großen, weiten Welt“, immer war er den Naturgewalten ausgesetzt, und über die örtlichen Verwüstungen, die der Mensch selbst angerichtet hat, ist immer wieder Gras gewachsen. Dass er nun in der Lage sein soll, mehr Schaden anzurichten als jemals zuvor, ist leicht zu erklären, aber schwer zu glauben.

Fatalismus
Dieser Einschätzung nach sind die globalen ökologischen und sozialen Probleme überaus real und nicht mehr zu bewältigen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Wer noch daran glaubt, dass der Mensch oder die Verhältnisse sich zum Besseren wenden könnten, ist unrealistisch. Vorherrschend ist hier ein persönliches, aber verallgemeinertes Ohnmachtsgefühl: Da kann man nichts machen. Dieser Spruch entstammt vermutlich der „nüchtern-realistischen“ Vorstellung, dass so große Veränderungen des Mainstreams und der Machtverhältnisse, wie sie jetzt nötig wären, nur durch ebenso große und mächtige Maßnahmen bewirkt werden können, während so kleine Einflüsse, wie sie vom Einzelnen ausgehen können, wirkungslos bleiben. Er eignet sich aber auch gut als Ausrede für die eigene Bequemlichkeit. „Der Mensch ist eine Sackgasse der Evolution“ – mit diesem Schluss verharrt der Resignierte, solange es ihm persönlich noch leidlich gut geht, in der Beobachterposition. Sollte die Not an die eigene Haustür klopfen, wird der Spruch sich möglicherweise umgehend verwandeln: So geht‘s nicht weiter! Da muss unbedingt was getan werden!

Technikgläubigkeit
Dieser Einschätzung nach stehen wir tatsächlich vor nie da gewesenen Herausforderungen, doch alle auftretenden Probleme werden durch beschleunigten technischen Fortschritt gelöst. Es mag sein, dass die Zahl der Probleme zunimmt, aber der technische Fortschritt findet immer noch schneller Lösungen. – Einen technischen Fortschrittsglauben dieser Art kann ich nicht teilen. Der technische Fortschritt erzeugt immer schneller immer kurzsichtigere Scheinlösungen, die auch noch immer schneller globalisiert werden. Der Rattenschwanz der ungelösten Probleme wird wahrscheinlich immer länger. Zweifellos werden wir viele Probleme auch „technisch“ lösen müssen, doch die Technik muss in eine andere Richtung fortschreiten: Sie muss sich dem Diktat einer fehlgeleiteten Ökonomie entziehen und sich der Ökologie unterordnen.

Ökonomismus oder Markt-Fundamentalismus
Dieser Einschätzung nach müssen wir uns gesunde Ökosysteme ebenso wie einen „Sozialstaat“ erst einmal leisten können. Die globalen ökologischen und sozialen Probleme werden unter rein ökonomischen Aspekten abgehandelt. Umweltschutz wird überwiegend als kostenintensive technische Herausforderung betrachtet und – ebenso wie alle „Sozialleistungen“ – ausschließlich unter dem Aspekt der Bezahlbarkeit gesehen: Die nötigen Mittel müssen innerhalb der bestehenden Marktwirtschaft aufgebracht werden. Das geht nur, wenn der Fortschritt der technischen Machbarkeit weiter beschleunigt wird und die Wirtschaft wächst. Das bestehende Wirtschaftssystem wird als alternativlos angesehen. Grundbedingung für einen wünschenswerten Fortschritt ist die Wettbewerbsfähigkeit. Wesentlich für den sozialen Frieden ist, dass es genügend Arbeitsplätze gibt. Forderungen, die darüber hinausgehen, sind romantischer Art. Auch so was wie „Umweltschutz“ darf auf keinen Fall die Wettbewerbsverhältnisse verzerren. Ökologische Bedenken sind zweitrangig. – Auch diese Sichtweise kann ich nicht teilen. Eine gute Ökonomie ist für mich eine Gemeinwohl-Ökonomie. Der Zwang zum Wirtschaftswachstum ist ein systembedingtes Problem unserer Wirtschaftsweise und unseres Geldsystems. Der notwendige Fortschritt muss unter anderem genau diesen Zwang beseitigen. Dann werden neue Freiheitsgrade und Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem sichtbar.

Mythischer Determinismus
Dieser Einschätzung nach steht die Entwicklung auf Erden unter dem ausschlaggebenden Einfluss höherer geistiger oder kosmischer Mächte, von denen „eingeweihte“ Menschen zu erzählen wissen. Die Erzählungen vom Werden der Welt und vom Sinn des Lebens entstammen einem älteren Erfahrungshintergrund, werden in geheiligter Überlieferung erhalten und in Offenbarungserlebnissen einfühlsamer Menschen immer wieder erneuert. Von Christen wird heute noch gesagt: Der Mensch versündigt sich zunehmend gegen den Willen Gottes und vermehrt dadurch das Übel in der Welt. Ohne Gottes Hilfe ist er verloren. Aber Gott wird nicht zulassen, dass seine Schöpfung dem Bösen anheimfällt; eines Tages wird er eingreifen und die Verhältnisse neu und gerecht ordnen. – Ich achte die Erzählungen unserer Altvorderen und erkenne in ihren bildhaften Darstellungen manch „tiefe“ Wahrheit. Aber die neuen Erfahrungen der Menschheit, ihr verändertes Bewusstsein, ihre veränderte Sprache erfordern neue „Übersetzungen“ der alten Erzählungen, und sie bringen auch neue Erzählungen mit sich. Die Bilder der christlichen „Heilsgeschichte“ und auch ihrer Apokalyptik berühren mich. Doch die alten Erzählungen dokumentieren vor allem die Herrschaftsverhältnisse der alten Gesellschaften, die Hierarchien, die sich in den Erfahrungen oder Absichten der alten Autoren spiegeln. Gerne überliefert werden auch wohldefinierte Systeme zyklischer Zeitperioden und Zeitalter, aus denen dann Wesentliches über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abgeleitet wird. Der Stand der Sonne, des Mondes, der Planeten in den Sternbildern bietet sich als Takt- und Sinngeber an. Auch kosmische Strahlungseinflüsse, zum Beispiel aus dem Zentrum der Milchstraße, werden in determinierender Weise kalkuliert. Ich habe nichts gegen die Annahme „höherer“ Mächte und gehe davon aus, dass das Geschehen auf Erden auch kosmischen Einflüssen unterliegt. Ich glaube aber nicht, dass diese Mächte und Einflüsse einen „Willen“ zeigen oder in einer leicht durchschaubaren Regelmäßigkeit wirken.









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