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Hans-Peter Dürr
Für eine zivile Gesellschaft

Beiträge zu unserer Zukunftsfähigkeit


Ausgewählte Vorträge, herausgegeben von Frauke Liesenborghs
München 2000 (dtv); 232 Seiten; ISBN 3-423-36177-8








Es mag einem angesichts der bedrückenden Lebensbedingungen für den Großteil der Menschheit, der damit verbundenen ökonomischen, sozialen und humanen Ungerechtigkeiten und Katastrophen, die die meisten Menschen auf dieser Erde ertragen müssen, der nicht enden wollenden militanten Auseinandersetzungen in allen Teilen der Welt womöglich allzu optimistisch vorkommen, die Vision einer „zivilen Gesellschaft“ zu verbreiten. Hans-Peter Dürrs „Optimismus“ nährt sich jedoch weniger aus Wünschen, Träumen und Hoffnungen als aus pragmatischen Beobachtungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen: Es gibt kein einziges Naturgesetz, so argumentiert er, das notwendig Ungerechtigkeit, Zerstörung und Macht erzwingt. Im Gegenteil – die (Über)Lebensfähigkeit alles Lebendigen basiert auf Kooperation, Kreativität und der Tatsache, dass die Zukunft offen ist.




Doch um diese optimalen Ausgangssituationen und „Arbeitsbedingungen“ für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Weltgesellschaft zu nutzen, wird es notwendig sein, seine eigenen, individuellen Fähigkeiten engagiert einzubringen und mit dem kreativen Potenzial von anderen Menschen zu vernetzen. Das wiederum setzt die grundlegende Bereitschaft eines jeden Menschen voraus, sich als willkommenes Mitglied der Weltgemeinschaft zu verstehen, aber es erfordert ebenso die Zivilcourage, diese Mitgliedschaft aktiv und konstruktiv umzusetzen.




Hans-Peter Dürr beschreibt aus unterschiedlichen Perspektiven Zusammenhänge, Hindernisse, Herausforderungen und Möglichkeiten, die mit einem solchen zivilen Engagement verbunden sind. Die Beiträge sind in der Regel Abschriften oder Zusammenfassungen von Vorträgen. (Vorwort der Herausgeberin)


Hans-Peter Dürr


geb. 1929, Promotion bei Edward Teller in Berkeley, Habilitation und apl. Professor an der Universität München, arbeitete am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München 17 Jahre mit Werner Heisenberg an grundlegenden Problemen der Quantenphysik. Direktor am Max-Planck-Institut für Physik, Werner-Heisenberg-Institut, München (zeitweise Geschäftsführung). Unter seinen Auszeichnungen: Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) 1987; Elise and Walter Haas International Award der University of California 1993. (Bekannter Namenskollege: Hans Peter Duerr, Ethnologe)


Inhaltsverzeichnis


EINLEITUNG



Wer kümmert sich um unsere Zukunft?






DAS NEUE WELTBILD



Gott, der Mensch und die Wissenschaft



Naturwissenschaftliche Erkenntnis und Wirklichkeitserfahrung



Emanzipation des Lebendigen im Lichte der modernen Physik



Technologie und Weltanschauung






DIE ZUKUNFTSFÄHIGKEIT DES HOMO SAPIENS



Wie offen ist die Zeit?



Möglichkeiten menschlicher Zukunft



Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung



Bildung ohne Kunst und Musik?






DIE ZUKUNFTSFÄHIGKEIT ALS GESELLSCHAFTLICHE HERAUSFORDERUNG



Zukunftsfähige Weltgesellschaft



Energie und Syntropie



Die 1,5-Kilowatt-Gesellschaft



Habitat II – Zukunftsfähige Stadtentwicklung






HOFFNUNGSTRÄGER »ZIVILGESELLSCHAFT«



Naturverständnis und politische Macht



Zur Rolle und Verantwortung der Wissenschaftler



Wieviel Verantwortung haben Industrie und Wissenschaft für die Menschen?



Bedeutung und Ziel der Zivilgesellschaft



Vernetzung der Zivilgesellschaft als Chance für Zukunftsfähigkeit






Literatur – eine Auswahl



Bibliografische Nachweise


Leseprobe


Wer kümmert sich um unsere Zukunft?






Es ist verhängnisvoll, dass Fragen der Zukunftsfähigkeit des Menschen in der nationalen und internationalen Politik immer mehr verdrängt werden. Denn die Zukunftsfähigkeit des homo sapiens sapiens, des ganzen Menschen mit all seinen physischen, geistigen und emotionalen Potenzialen (und nicht nur seiner Schrumpfgestalt, des homo oeconomicus), muss bei unserem Planen und Handeln höchste Priorität haben und behalten. Stattdessen orientieren sich immer mehr Länder an der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, so als wäre Wettbewerb ein Ziel an sich und nicht nur ein Mittel zu einem besonderen Zweck, wie eben vor allem unsere Zukunftsfähigkeit. Zukunftsfähigkeit erfordert nicht nur die langfristige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen, sondern auch die Gewährleistung gerechter Gesellschaftsordnungen, die erst ein friedliches Zusammenleben aller Menschen ermöglichen, und den einzelnen Menschen die Chance für ein lebenswertes Leben verschaffen. Da Menschen „nicht vom Brot alleine“ leben, muss dies über die Befriedigung ihrer physischen Grundbedürfnisse (wirtschaftliche Komponente) hinausgehen. Es muss ihnen erlauben, ihre Persönlichkeit zu entfalten und an der Gestaltung, ihrer Gesellschaft mitzuwirken.






Wir müssen uns um unsere Zukunftsfähigkeit selbst kümmern. Denn die Natur wird uns dazu nicht zwingen. In ihr gilt die Regel, dass „Dummköpfe“, die ihre langfristigen vitalen Interessen vernachlässigen, einfach aus der biologischen Evolution entlassen werden. Leider gilt dies nicht individuell, sondern kollektiv, so dass die Einsichtigen, wenn sie dies verhindern wollen, Wege finden müssen, die Nichteinsichtigen von ihren Dummheiten abzuhalten. Wie kann so etwas gelingen?






Dies ist eine schwierige Aufgabe. Wir sind darauf nicht vorbereitet. Warum? In der Vergangenheit war der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt vergleichsweise so geringfügig, dass alle seine Umweltsünden, bis auf wenige lokale irreparable Schäden, durch die Robustheit des über Jahrtausende stetig gewachsenen und hoch ausgetesteten Ökosystems erfolgreich abgefedert wurden. Diese Elastizität hat uns dazu verleitet, die Natur als einen Partner zu betrachten, der sich alles gefallen lässt, und darüber hinaus als ein unendliches Reservoir, aus dem wir beliebig Rohstoffe entnehmen und in das wir am Ende allen unseren Abfall werfen können, ohne uns Gedanken über die langfristigen Folgen machen zu müssen. In der Tat verfügt die Natur über eine immense Vielzahl von Prozessen, die ihr erlauben, die durch unser Wirken aufgerissenen Kreisprozesse wieder zu schließen. Aufgrund der Industrialisierung unserer Gesellschaft, in der die menschlichen Umwelteinflüsse, insbesondere durch den wachsenden Einsatz fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas, durch die Ausbeutung von über Millionen von Jahrhunderten angesammelten Sonnenenergiespeichern, in ihrer Intensität, Vielfalt und Beschleunigung extrem verstärkt wurden, reicht jedoch die Robustheit der Natur zu ihrer Selbstheilung nicht mehr aus. Dadurch fällt nun uns Menschen die heikle Aufgabe zu, auch die langfristigen Folgen unseres Handelns mit zu bedenken und große irreversible Schäden für uns nach Möglichkeit zu vermeiden. Es hieße jedoch die Komplexität des Ökosystems der Erde gigantisch zu unterschätzen, dies, wie manche Wissenschaftler heute empfehlen, durch eine weitere, gewaltige Verstärkung menschlicher Eingriffe in das Biosystem zu erreichen. Es müssen vielmehr menschliche Aktivitäten derart umgestaltet werden, dass sie die Robustheit des Biosystems nicht überfordern.






Die Initiative für eine solche Umgestaltung kann nur von den Verständigen und Vernünftigen kommen. Ihre Implementierung bedarf jedoch, wie ich glaube, dringend staatlicher Unterstützung und einer entsprechenden Institutionalisierung. Die Macht liegt heute vorwiegend bei der Wirtschaft. Aufgrund ihrer kurzfristigen Ziele und ihrer Orientierung am einkommengewichteten Menschen (Kunden und Shareholder) kann sie jedoch diese Aufgabe nicht übernehmen und will dies, nach ihrem augenblicklichen Selbstverständnis, auch gar nicht. Der Staat, als Vertreter aller Bürgerinnen und Bürger, muss sich deshalb dieser Aufgabe stellen. Er kann dies jedoch nicht leisten, weil er zu schwach ist und ihm der Auftrag und die notwendigen Institutionen fehlen. Denn es gibt keine Instanz, welche die Rechte zukünftiger Generationen ausreichend schützt und die politischen Entscheidungen in ähnlicher Weise auf ihre langfristigen Konsequenzen untersucht, wie dies etwa die Judikative, die richterliche Gewalt, bezüglich der Verträglichkeit von Gesetzen mit der Verfassung tut. Es ist völlig unangemessen, Fragen der Zukunftsfähigkeit auf parteipolitischer Ebene opportunistisch auszufechten, wie dies im Augenblick geschieht, weil die kleine Gruppe der Weitsichtigen, begleitet von der Häme einer vorwiegend einfältigen Presse, von den vielen so genannten Realisten, welche die Zukunft immer nur durch den Rückspiegel sehen, statt neuen Einsichten eine Chance zu geben, immer mehr ins Abseits gedrängt werden.






Die Zukunftsfähigkeit muss dringend, um unser aller Zukunft willen, zum übergeordneten Ziel aller Menschen werden. Es ist hierbei insbesondere die „Zivilgesellschaft“, die – neben Staat und Wirtschaft – in die uns und unsere natürliche Lebenswelten betreffenden Entscheidungsprozesse einbezogen werden muss. Um dieses zu ermöglichen, müssen sicherlich neue institutionelle Wege gefunden werden. Unverzichtbar ist aber ebenso das Engagement und die Übernahme von Verantwortung eines jeden Einzelnen von uns.









Bedeutung und Ziel der Zivilgesellschaft






Einleitende Bemerkungen






Die Bezeichnung Zivilgesellschaft wird in recht unterschiedlicher Bedeutung benutzt. Vielen gilt sie durch den negativen Gebrauch im ehemaligen kommunistischen Teil Europas im Sinne einer Bürgergesellschaft, der Gesellschaft der bourgeois, als verbraucht und überholt. Als Civil Society, der Gesellschaft der citoyens, ist sie wieder von den USA in unseren Sprachraum eingedrungen, doch oft mit dem Hinweis, dass in den USA heute mehr von einem Kommunitarismus gesprochen werde, der sich als eine Partizipationsgesellschaft mit einer gemeinsamen Orientierung auf eingeschränkte Sachverhalte und Zielvorstellungen verstehe. Ich will mich auf diese unterschiedlichen Definitionen nicht einlassen, weil mir dies als Nichtsoziologe gar nicht gelingen würde. Ich möchte als Zivilgesellschaft etwas großzügig den Teil der Bevölkerung bezeichnen, der sich außerhalb der staatlichen Institutionen in unserer Demokratie gesellschaftspolitisch engagiert. Entsprechend der Unterscheidung von Bürger und Staat sehe ich also die Zivilgesellschaft institutionell als Gegenstück zur staatlichen Organisation. Doch soll in meinen Ausführungen hier unter der Zivilgesellschaft nur der „Dritte Sektor“ gemeint sein, der nicht im wirtschaftlichen Bereich, dem „Zweiten Sektor“, integriert ist.






Diese weitere Einengung des Begriffs Zivilgesellschaft ist im Hinblick auf die realen Machtstrukturen sinnvoll. Vom Standpunkt der einzelnen Bürgerin oder des einzelnen Bürgers aus erscheinen doch Staat und Wirtschaft wie eine kaum mehr entflechtbare, gemeinsame Obrigkeit, die das individuelle Leben weitgehend bevormundet und deren Forderungen man sich weitgehend ohnmächtig ausgeliefert fühlt. Daran ändert auch ihre gelegentliche Beteiligung an Wahlen von Volksvertretern in die staatlichen Institutionen nicht viel, weil inhaltliche Fragen – in der öffentlichen Diskussion bewusst unterbelichtet und auf verwirrende Weise miteinander verknotet – dabei eine immer geringere Rolle spielen, so dass die Kandidaten unterschiedlicher Parteien in immer höherem Maße als beliebig auswechselbar erscheinen. Über die mächtigen Führungskräfte der Wirtschaft, die nicht nur im eigenen Lande, sondern zum Teil auch weltweit großen Einfluss auf die Geschicke aller Bürgerinnen und Bürger haben, existieren kaum verwertbare Informationen, die den Betroffenen eine Orientierung über Personen und mögliche Optionen erlauben könnten. Im Übrigen wäre diese auch völlig unnütz, da keine Wahlmöglichkeiten über solche Personen und Optionen bestehen, es sei denn als Kunde bei der Auswahl der von der Wirtschaft angepriesenen Produkte, was jedoch keinem demokratischen, sondern einem von der Kaufkraft abhängigen Votum entspricht. Der eigentlich Bedürftige hat hier keine Stimme. Es ist aus diesen Gründen verständlich, dass sich der wirtschaftsunabhängige Teil der Zivilgesellschaft notgedrungen als eine neue unabhängige Kraft artikulieren, formieren und organisieren möchte und muss, um diesem Missstand zu begegnen.






Offensichtlich hat die Zivilgesellschaft eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele. Sie sind direkt oder indirekt verkoppelt mit den unterschiedlichen Unzulänglichkeiten von Staat und Wirtschaft, in angemessener Weise den Bürgerinnen und Bürgern das ihnen in einem demokratischen System zugebilligte Recht einzuräumen, gemeinsam und mehrheitlich über die Formen ihres Zusammenlebens entscheiden zu können. Die rasante ökonomische Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation hat hier zu dramatischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Ungleichgewichten geführt, die sich durch eine Verselbstständigung der Dynamik in eine zivilisatorische Katastrophe auszuwachsen drohen.






Die Ziele der Zivilgesellschaft bestimmen sich vornehmlich darin, erstens die sich anbahnende Krise allen deutlich zu machen und zweitens diese Krise mit allen ihren Symptomen durch geeignete Gegenmaßnahmen erfolgreich zu bewältigen oder sie wenigstens so weit zu entschärfen, dass größere Katastrophen verhindert werden. Im Folgenden sollen zunächst die Probleme der modernen wirtschaftlichen Entwicklung aufgezeigt werden, deren Lösung eine existenzielle Herausforderung der Gesellschaft dringend erfordert. Hierzu bieten sich mögliche Lösungsstrategien und konkrete Einstiege an. Wirtschaft und Staat scheinen beide, aber aus unterschiedlichen Gründen, als Problemlöser ungeeignet zu sein. Deshalb kommt, wie mir scheint, wenn überhaupt nur eine sich geeignet weiterentwickelnde, differenzierte Zivilgesellschaft infrage. In den unterschiedlichen Zielsetzungen ihrer Teile und deren konstruktivem Zusammenwirken könnte sie sehr wohl dieser schwierigen Aufgabe gerecht werden.






Zukunftsfähigkeit als vorrangige gesellschaftliche Aufgabe






Die in der Folge der Aufklärung betont rationale Betrachtung der Wirklichkeit hat eine eindrucksvolle Entwicklung der Wissenschaft ermöglicht. Insbesondere führte sie in den Naturwissenschaften zu einem tieferen und umfassenderen Verständnis der Naturvorgänge. Die Erkenntnis allgemeiner Naturgesetze erlaubte die Prognose zukünftiger Ereignisse. Durch geeignete Präparation des Gegenwärtigen eröffnete dies prinzipiell die Möglichkeit, die Natur nach Belieben zu manipulieren und sie dem Menschen dienstbar zu machen. Die auf dieser Grundlage entwickelte Technik hat dem Menschen Steuerungsmacht über natürliche Prozesse verliehen und ihm vielfältige Wege eröffnet, sich die Mühen seines Alltagslebens zu erleichtern. Die Industriegesellschaft im eigentlichen Sinne konnte sich jedoch erst durch die umfassende Ausbeutung der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas in der Erdkruste entwickeln. Die Probleme der heutigen Industriegesellschaft resultieren weniger aus der durch Wissenschaft ermöglichten Technik als vielmehr aus der enormen Verstärkung menschlicher Einwirkung auf das Ökosystem durch diesen forcierten Einsatz nichterneuerbarer Energieressourcen und die dadurch ausgelöste Beschleunigung natürlicher Prozesse.






Entsprechend dem „Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik“ (Entropiesatz) tendieren isolierte Systeme in der Natur zeitlich immer in Richtung größerer Unordnung (höhere Entropie), was praktisch einer Wertminderung entspricht. Veränderungen, umgekehrt, zu höher differenzierten Ordnungsstrukturen, also Wertschöpfungsprozesse in einem natürlichen Sinne (im Gegensatz zu den Wertschöpfungsprozessen der Wirtschaft, die auf eine Vermehrung des Tauschwertes zielen), müssen deshalb gegen diesen dominanten Trend der Ordnungsminderung anlaufen. Solch ein Gegentrend wird nur dann möglich, wenn eine „ordnende Hand“ eingreift: Sie muss Ordnungsenergie (arbeitsfähige Energie) zuführen, aber auch – und das ist wichtig – intelligent gesteuert werden. Dies erfordert Information und einen gewissen Zeitaufwand für die Umsteuerung. Deshalb sind Mäßigung und Entschleunigung wesentliche Voraussetzungen, um bei Energiezufuhr den „unnatürlichen“ Aufbauprozessen gegenüber den „natürlichen“ Abbauprozessen eine Chance zu geben. Die Evolution des Lebendigen auf der Erde unter Sonneneinstrahlung zeigt eindrucksvoll, wie durch ein intelligentes und lernfähiges Plussummenspiel (ein Win-win-Spiel) in der relativ kurzen Zeit von dreieinhalb Milliarden Jahren aus einfachen chemischen Verbindungen die enorme Vielfalt des Biosystems, ein synergetisch vernetztes System hochkomplexer Pflanzen und Tiere, entstanden ist. Wichtig ist, dass der Mensch als ein Teil dieses hoch ausgetesteten Biosystems verstanden werden muss und nicht außerhalb von diesem steht. Die Zukunftsfähigkeit des Menschen erfordert Nachhaltigkeit auf drei Ebenen: der ökologischen, der sozialen und der human-individuellen. Nachhaltigkeit (sustainability) geht hierbei über den statischen Begriff der substantiellen Erhaltung hinaus, sie bezeichnet dynamisch die aktive Unterstützung der Vitalität und Entwicklungsfähigkeit des Ökosystems einschließlich des Menschen. Alle drei Ebenen sind gleich wichtig, aber nicht gleichwertig. Die ökologische Nachhaltigkeit ist die umfassendste, sie soll die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sichern helfen. Die human-individuelle Nachhaltigkeit schließt die ökonomische Komponente, die materielle Sicherung der natürlichen Lebensbedürfnisse, ein, erschöpft sich jedoch nicht in dieser, sondern umfasst auch die für einen Menschen wesentliche Entfaltung seiner geistigen und emotionalen Potenziale. Offensichtlich stehen diese Forderungen der Nachhaltigkeit im Widerspruch zum Wirtschaftsparadigma der heutigen industriellen Welt, das sich immer noch an einem ungehemmten materiellen Wachstum orientiert. Hierin liegt die große Problematik der jetzigen wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Entwicklung. Um die notwendige Umsteuerung zu erreichen, sind dramatische Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Spielregeln nötig. Dies stellt eine existenzielle Herausforderung der Gesellschaft dar.






(...)


Siehe auch


Hans-Peter Dürr: Das Netz des Physikers (1988)



Hans-Peter Dürr: Die Zukunft ist ein unbetretener Pfad (1995)



Hans-Peter Dürr / Marianne Österreicher: Wir erleben mehr als wir begreifen (2001)



Hans-Peter Dürr: Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen (2004)



Fernsehinterview im Bayerischen Rundfunk am 29.5.1998



Global Challenges Network e.V. – »Global denken – vernetzt handeln« – wurde 1987 von Prof. Dr. Hans-Peter Dürr gegründet. GCN sieht in der Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppierungen eine notwendige Voraussetzung für lösungsorientiertes Handeln. Das heißt: Idealerweise arbeiten Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Initiativen und engagierte Bürgerinnen und Bürger in ausgewählten Projekten interdisziplinär. Allen Projekten gemeinsam ist die Absicht, einen konkreten Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Lebens(um)welt zu leisten.