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Jason Hickel
Weniger ist mehr
Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind


München, 2022 (oekom); 348 Seiten; ISBN 978-3-96238-284-1
Das englische Original erschien 2020 unter dem Titel:
LESS IS MORE. How Degrowth Will Save the World






Dies hier ist kein Buch über den Untergang. Es ist ein Buch über Hoffnung. Es handelt davon, wie wir uns von einer um Herrschaft und Extraktion organisierten Wirtschaft zu einer Wirtschaftsform hinbewegen können, die in einem wechselseitigen Verhältnis mit der lebendigen Welt verwurzelt ist. Bevor wir uns aber auf diese Reise begeben, müssen wir uns zunächst klar machen, was auf dem Spiel steht. Die ökologische Krise, die sich um uns herum abspielt, ist erheblich gravierender, als wir im Allgemeinen annehmen. Es geht nicht einfach nur um ein oder zwei einzelne Themen, um eine Angelegenheit, die man mit einer gezielten Intervention hier und da in Ordnung bringen kann, während alles andere so weitergeht wie bisher. Was gerade geschieht, das ist der Zusammenbruch multipler vernetzter Systeme – Systeme, von denen die Menschen fundamental abhängig sind. (Seite 17)

Jason Hickel rechnet mit dem Kapitalismus ab: Statt alle Menschen aus den Fängen der Armut zu befreien, hat unsere Art zu wirtschaften ein Leben voll künstlicher Verknappung, sozialer Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung hervorgebracht – angetrieben von einer Elite, die immer reicher wird. Hickel ist überzeugt: Wenn wir das Anthropozän überleben wollen, müssen wir den Kapitalismus hinter uns lassen. Die Alternativen heißen jedoch weder Kommunismus noch radikaler Verzicht. Es geht vielmehr darum, die reale Wirtschaft in ein System zu transformieren, das zum Wohle aller Menschen agiert und unsere Lebensgrundlagen nicht zerstört. Hickel schlägt für diesen Umbau konkrete Schritte vor und liefert nebenbei einen bemerkenswerten Beitrag zu der Frage, wie der Schutz unseres Planeten sozial gerecht umgesetzt werden kann. (Klappentext)


Jason Hickel


ist Anthropologe und lehrt an der London School of Economics. Geboren 1982 in Eswatini (ehem. Swasiland) verbrachte er einige Jahre in Südafrika, um die sozialen Folgen der Apartheid zu erforschen. Hickel schreibt regelmäßig für Zeitungen wie den Guardian über Themen wie globale Ungerechtigkeit, Postwachstum und ökologisches Wirtschaften. Er warnt: »Wachstum verhält sich wie ein Virus.«


Inhaltsverzeichnis


Vorwort von Maja Göpel

Einleitung: Willkommen im Anthropozän
Leben in einem Zeitalter des Massenaussterbens
Hinter den Ökofakten
Erste Regungen
Degrowth
Flüchtige Einblicke in eine mögliche Zukunft






Teil 1: Mehr ist weniger






Kapitel 1: Der Kapitalismus – eine Schöpfungsgeschichte
Eine vergessene Revolution
Gegenreaktion
Wachstum als Kolonialisierung
Das Paradox der künstlichen Knappheit
Die große Trennung
Der Körper als „Rohstoff“
Billige Natur
Descartes retweeten

Kapitel 2: Der Aufstieg des Molochs
Das stahlharte Gesetz des Kapitals
Auf der Jagd nach dem nächsten Fix
Vom privaten Zwang zur öffentlichen Obsession
Die Zwangsjacke
Verschlungene Welt
Kolonialismus 2.0
Wie man im 21. Jahrhundert über „Grenzen“ nachdenken sollte

Kapitel 3: Wird die Technologie uns retten?
Glücksspiel in Paris
Von der Klippe springen
Der Kampf um 1,5 Grad
Grünes Wachstum?
Der umgeformte Planet
Aus der Bratpfanne ins Feuer
Die Sache mit der Technologie
Was ist mit Recycling?
Die Dystopie des grünen Wachstums
Die unhinterfragte These






Teil 2 – Weniger ist mehr






Kapitel 4: Geheimnisse des guten Lebens
Wo kommt Fortschritt her?
Die Gemeingüter zurückgewinnen
Gutes Leben ohne Wachstum
Gerechtigkeit im Süden
Die Ideologie abschütteln
Und was ist mit Innovation?
Wir brauchen neue Fortschrittsindikaroren – aber das reicht nicht

Kapitel 5: Pfade einer postkapitalistischen Welt
Die Notbremse
Schritt 1: Geplante Obsoleszenz beenden
Schritt 2: Werbung zurückfahren
Schritt 3: Vom Eigentum zur Nutzerschaft
Schritt 4: Die Vergeudung von Lebensmitteln beenden
Schritt 5: Ökologisch schädliche Industrien herunterfahren
Aber was ist mit den Arbeitsplätzen?
Die Ungleichheit reduzieren
Dekommodifizierung der öffentlichen Güter und Ausweitung der Gemeingüter
Eine Theorie der radikalen Fülle
Das Gebot des Erlassjahres
Neues Geld für eine neue Wirtschaft
Die Vorstellung eines Postkapitalismus
Die Macht der Demokratie

Kapitel 6: Alles ist verbunden
Lehren unserer Vorfahren
Wie man sich ökologisch verhält
Stimmen der Minderheiten
Eine zweite wissenschaftliche Revolution
Postkapitalistische Ethik
Weniger ist mehr

Danksagung
Anmerkungen
Über den Autor


Leseprobe


Siehe: www.oekom.de/_files_media/titel/leseproben/9783962382841.pdf


Zitat


Seite 284f : Zur Erinnerung: der Aufstieg des Kapitalismus im 16. und 17. Jahrhundert kam nicht einfach aus dem Nichts. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, war die Voraussetzung dafür Gewalt, Enteignung und Versklavung; nochwichtiger allerdings war die Herstellung einer neuen Erzählung über die Natur. Die Menschen mussten dazu gebracht werden, die Natur zum ersten Mal als etwas zu betrachten, das sich grundlegend vom Menschen unterscheidet; das nicht nur minderwertig und untergeordnet ist, sondern auch ohne den belebenden Geist, den wir dem Menschen zuschreiben. Die Welt musste zweigeteilt werden. Mit einem Wort: Der Kapitalismus verlangte eine Spaltung. Seit 500 Jahren ist die dominierende Kultur auf unserem Planeten – die Kultur des Kapitalismus – in dieser Spaltung begründet. – Wenn wir das einmal verinnerlicht haben, wird klar, dass es bei dem bevorstehenden Kampf um mehr geht als nur um eine Auseinandersetzung über ökonomische Fragen. Es ist ein Kampf um die Theorie unseres Daseins. Dafür müssen wir nicht nur Grund und Boden, Wälder und Völker dekolonialisieren, sondern auch unser Denken. Um uns auf diese Reise begeben zu können, brauchen wir neue Quellen der Hoffnung, neue Brunnen der Möglichkeiten – neue Visionen, wie alles auch ganz anders sein könnte. Wir werden auf diesem Weg erfahren, dass die Zauberformel für die Errichtung einer ökologischen Zivilisation überhaupt nichts mit Begrenzung und Dürftigkeit zu tun hat. Es geht um etwas, das fundamental größer ist. Größer, als wir uns vorstellen können.






Seite 321f: Die ökologische Krise ruft nach einer radikalen politischen Reaktion. Die einkommensstarken Länder müssen ihren exzessiven Energie- und Materialverbrauch zurückfahren; wir brauchen einen raschen Umstieg auf die Erneuerbaren; und wir brauchen den Wechsel zu einer postkapitalistischen Wirtschaft, die sich auf das menschliche Wohlergehen und die ökologische Stabilität konzentriert, anstatt auf immerwährendes Wachstum. Wir brauchen aber nochmehr – wir brauchen eine neue Art des Denkens über unsere Beziehung zur lebendigen Welt. Wie können wir dasüberhaupt alles zusammenbringen? – (…) Degrowth öffnet uns einen Weg, wie wir uns dieserherausforderung stellen können. Es steht für die Ent-Kolonialisierung der Länder wie der Völker und sogarunserer Köpfe. Es steht für die Ent-Einhegung der Allmende, für die Ent-Kommodifizierung öffentlicher Güter und die Ent-Intensivierung von Arbeit und Leben. Es steht für die Ent-Verdinglichung von Menschen und Natur und für die Ent-Eskalation der ökologischen Krise. Degrowth beginnt als ein Prozess des Wenigernehmens. Am Schluss aber öffnet es uns breite Möglichkeitshorizonte. Es bringt uns von der Knappheit zur Fülle, von der Extraktion zur Regeneration, von der Herrschaft zur Gegenseitigkeit und von Einsamkeit und Getrenntsein zur Verbindung mit einer Welt, die vor Leben sprudelt.

Letztlich ist das, was wir „die Wirtschaft“ nennen, unsere materielle Beziehung untereinander und mit dem Rest der lebendigen Welt. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie soll diese Beziehung unserer Meinung nach aussehen? Soll es dabei um Herrschaft und Extraktion gehen? Oder um Gegenseitigkeit und Führsorge?