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Erich Jantsch
Die Selbstorganisation des Universums

Vom Urknall zum menschlichen Geist


München Wien 1979 (Hanser), erweiterte Neuauflage 1990; 464 Seiten; ISBN 3-446-17037-5






Von den kleinsten Materiewölkchen kurz nach dem Urknall bis zu den komplexesten Systemen, die wir kennen, dem menschlichen Geist und der menschlichen Gesellschaft, bietet Erich Jantsch in diesem Buch eine umfassende Synthese der aktuellsten naturwissenschaftlichen Denkmodelle, um ein neues, ganzheitliches Weltbild zu entwerfen. Erkenntnisse der Physik und Chemie, Ökologie und Kosmologie, Biologie und Anthropologie werden vereint zum neuen Konzept einer universalen Evolution, die auf sämtlichen Stufen – auf mikrokosmischer wie auf makrokosmischer, auf chemischer und physiologischer wie auf psychischer und kultureller – als ein dynamischer, selbstorganisierender und sich selbst ständig transzendierender Prozeß zu begreifen ist.

Jantsch‘ auf- und anregende Erkundungsgänge durchdringen alle Bereiche der Natur, des Lebens und des Denkens, vom Atom bis zu avantgardistischer Kunst. Und all dies vereinigt er zu einer „umfassenden Betrachtungsweise, die sowohl Ethik ist als auch Kosmologie, Theologie und Anthropologie, Physik und Geschichte – und die unser einseitiges Bemühen auf speziellen Gebieten ersetzt durch die Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit aller Phasen des Weltprozesses“ (Paul Feyerabend).


Erich Jantsch


geboren 1929 in Wien, promovierte in Astrophysik, arbeitete als Astronom, Musikkritiker, Kaufmann, Physiker und Ingenieur, war Konsulent des Wissenschaftlichen Direktorats der OECD, Mitbegründer des Club of Rome und Gastprofessor mit Forschungsaufträgen an einem Dutzend amerikanischer und europäischer Universitäten; von 1971 an lebte und arbeitete er hauptsächlich in Berkeley, wo er 1980 starb.


Inhaltsverzeichnis


Vorwort zur Neuausgabe von Peter Kafka



Vorwort von Paul Feyerabend



Vorwort des Autors






Einleitung: Die Geburt eines Paradigmas aus einer Metafluktuation



Eine Zeit der Erneuerung



Selbsterneuerung der Wissenschaft



Gang der Argumentation






Teil I – Selbstorganisation:
Die Dynamik natürlicher Systeme






1. Makroskopische Ordnung



Die Aufhebung des Reduktionismus



Drei Betrachtungsebenen der Physik



Symmetriebruch als Quelle von Ordnung



2. Dissipative Strukturen: Autopoiese



Spontane Strukturierung



Eine Hierarchie kennzeichnender Systemaspekte



Eigenschaften dissipativer Strukturen



Selbstbezug und Umwelt



3. Ordnung durch Fluktuation: Systemevolution



Evolutive Rückkopplung



Die Rolle von Fluktuationen: der Mikroaspekt



Makroskopische Unbestimmtheit



Erstmaligkeit und Bestätigung



Systemdynamik und Geschichte



4. Modellstudien selbstorganisierender Systeme



Homologe Dynamik natürlicher Systeme



Katastrophentheorie als Alternative



Physikalisch-chemische Systeme



Biologische Systeme



Soziobiologische Systeme



Ökologische Systeme



Soziokulturelle Systeme






Teil II – Koevolution von Makro- und Mikrokosmos:
Naturgeschichte in Symmetriebrüchen






5. Kosmisches Vorspiel



Evolution als systembrechender Prozeß



Der asymmetrische Ursprung der Materie



Symmetriebruch zwischen physikalischen Kräften: die Aufspannung des Raum-Zeit-Kontinuums für die Entfaltung von Evolution



Zwischenspiel: Strukturierung durch Kondensation



Selbstorganisation kosmischer Strukturen



Materiefenster und kosmische „Phylogenese“



Der Pfeil kosmischer Zeit



6. Biochemische und biosphärische Koevolution



Energiefluß als Anstoß zur chemischen Evolution



Präbiotische Selbstorganisation: dissipative Strukturen und Hyperzyklen



Lineare Selbstreproduktion – der vertikale Aspekt genetischer Kommunikation



Horizontale genetische Kommunikation – die Stufe prokaryoter Zellen



Der Aufbau einer sauerstoffreichen Atmosphäre – Leben schafft sich selbst die Bedingungen für seine weitere Evolution



Gaia, das erdumspannende Regelsystem von Bio- und Atmosphäre



7. Die Erfindung der Mikroevolution des Lebens



Entstehung der eukaryotischen Zelle aus Symbiose



Sexualität



Heterotrophie – Leben nährt sich von Leben



Der Drang zur Vielzelligkeit



Der schwierige Ausgleich zwischen Erstmaligkeit und Bestätigung



8. Soziobiologie und Ökologie: Organismus und Umwelt



Eine Klarstellung zur Terminologie



Optimale Ausnützung von Energie



Makrodynamik des Lebens



Der Rückkopplungskreis zwischen Organismus und Umwelt – Epigenetik und Makroevolution



Epigenetik und Mikroevolution



Geschichtsmanipulation in langfristigen Evolutionsstrategien



Der Mensch als Produkt epigenetischer Evolution



Soziobiologische Evolution in Richtung von Individuation



9. Soziokulturelle Evolution



Die dynamische Auffächerung biologischer Kommunikation



Neuronen, die Spezialisten schneller Kommunikation



Geist als dynamisches Prinzip



Die Evolution des „Dreifach-Hirns“



Autopoietische Ebenen der Mentation



Sprache



Die soziokulturelle Neuerschaffung der Welt



Komplementarität von Subjektivität und Objektivität



Evolutionäre Öffnung durch schöpferischen Geist






Teil III – Selbsttranszendenz:
Systembedingungen der Evolution






10. Die Kreisprozesse des Lebens



Zyklische Organisation – die Systemlogik dissipativer Selbstorganisation



Eine hierarchische Typologie selbstorganisierender Systeme



Autopoietische, selbstregenerierende Systeme



Systeme mit Wachstumsdynamik



Koevolution zyklischer Systemorganisation



11. Kommunikation und Morphogenese



Ein verallgemeinertes Schema von Wirkungsformen der Kommunikation



Die Ausbildung von Gedächtnis



Epigenealogischer Prozeß – dissipatives und konservatives Prinzip in Wechselwirkung



Symbiose



Kommunikation in den Hauptphasen der Koevolution von Makro- und Mikrokosmos



Der kosmische Bezug irdischen Lebens



12. Die Evolution evolutionärer Prozesse



Systemdynamik in makro- und mikroskopischer Sicht



Die Entstehung von Komplexität



Metaevolution in Symmetriebrüchen



Hierarchische Sicherung von Offenheit



13. Zeit- und Raumverschränkung



Wechselseitige Entsprechung von Raum und Zeit in der Kommunikation



Die Feinstruktur der Zeit



Stufenweise Zeit- und Raumverschränkung in der Evolution



Interpretation – der evolutionäre „Zweck“



14. Dynamik einer vielschichtigen Realität



Vielschichtige Autopoiese



Koordinierte Eigendynamik auf hierarchischen Ebenen



Nicht Kontrollhierarchie, sondern stratifizierte Autonomie






Teil IV – Kreativität:
Selbstorganisation und Menschenwelt






15. Evolution – Revolution



Umwälzung, Manipulation oder evolutionäre Fluktuation?



Metastabilität der Institutionen



Von Quantensprüngen zur „gleitenden“ Evolution?



Kultureller Pluralismus und Autonomie der Systeme menschlichen Lebens



16. Ethik, Moral und Systemmanagement



Vielschichtige Ethik



Zeit- und Raumverschränkung in der Planung



Öffnung „nach oben“



Prozeß- statt Strukturplanung



Komplementarität der Werte



17. Energie, Wirtschaft und Technik



Zeitverschränkung in der Erschließung von Energiequellen



Energieintensive Wirtschaft



Wirtschaft, Umwelt und Bewußtsein



18. Der schöpferische Prozeß



Selbstorganisation, Kunstwerk und Kunsterlebnis



Offene Wissenschaft



Auf der Drehbühne des Bewußtseins



19. Dimensionen der Offenheit



Intensität, Autonomie und Sinn – dynamische Maßstäbe für evolutionären Fortschritt



Unmittelbarkeit der Existenz



Die Aufhebung der historischen Zeit






Epilog: Sinn






Literaturverzeichnis



Quellennachweis



Namenverzeichnis



Sachregister


Leseprobe


Vorwort zur Neuausgabe von Peter Kafka






Ein Sachbuch mit etwa 250 Zitaten aus über 15 Jahre alten wissenschaftlichen Originalarbeiten und Fachbüchern? Welchen Sinn kann es haben, ein solches Buch heute neu aufzulegen? Jedes Jahr bringt doch eine unübersehbare Fülle von Forschungsergebnissen in hergebrachten und immer neuen Spezialgebieten der Wissenschaft. Nicht nur die Zahl der Fachzeitschriften wächst zum Schrecken aller Bibliothekare maßlos an, sondern auch ihr Umfang. Schon vor Jahren schätzte jemand scherzhaft ab, daß bei dieser Beschleunigung das Ende der Reihe von Bänden der Physical Review sich demnächst mit Überlichtgeschwindigkeit im Regal nach rechts werde bewegen müssen – woraus nach der Relativitätstheorie freilich folge, daß dann keine Information mehr enthalten sein könne...






Eine Karriere in der Wissenschaft mag machen, wer da Schritt hält. Und Geschäfte macht, wer mit solchem Fortschritt verkäufliche Werk- und Spielzeuge bastelt; immer schneller, immer neuer. Erich Jantsch, der mit der Astrophysik begonnen hatte, spürte offenbar, daß es Wichtigeres gibt. Wer kümmert sich denn darum, ob das Neue untereinander verträglich ist? Und gar verträglich mit dem Alten? Wo sind die Fachmänner fürs Zusammenpassen?






Jantsch landete bei der »Zukunftsforschung« und beschäftigte sich unter anderem im Rahmen der OECD mit Systemtheorie und den Grundlagen langfristiger Planung. Planung ersetzt bekanntlich den Zufall durch den Irrtum – und mit dieser Erfahrung blieb ihm nichts übrig, als nun immer tiefer der Frage nachzugehen, wie die Welt ganz ohne Zielvorstellungen unter dem Einfluß zufälliger Schwankungen immer höhere Komplexität, immer raffiniertere, »wertvollere« Gestalten entwickeln konnte, ja, offensichtlich entwickeln mußte. Erst die immer schneller hereinbrechende Zerstörung der irdischen Biosphäre und sogar des planetaren Klimas deutet auf eine Krise dieser Wertschöpfung hin. Gelänge es, die Prinzipien der Schöpfungsgeschichte zu verstehen und weithin verständlich zu machen, so könnte es vielleicht gelingen, auch den menschlichen Geist so zu organisieren, daß ein lebensfähiges Gesamtsystem entsteht. Die Kenntnis der Naturgesetze kann hierfür nicht ausreichend sein – denn auch der Zusammenbruch von Systemen gehorcht diesen.






Es geht also darum, Voraussetzungen und Randbedingungen zu finden, unter denen lebensfähige komplexe Systeme entstehen. Ziel einer Theorie der Selbstorganisation ist es, übergeordnete Begriffe zu bilden, in denen sich solche Bedingungen formulieren und dann auf die vielfältigen Systeme der wirklichen Welt anwenden lassen. Daß auch die seelisch-geistigen und gesellschaftlichen Phänomene als Erscheinungen in Raum, Zeit und Materie zu dieser Welt gehören, steht dabei außer Frage. Welt bedeutet heute alles. So ist schon definitionsgemäß jede Entstehung und Entwicklung von Gestalten in der Welt »Selbstorganisation«. Und selbstverständlich ist auch der Geist noch vor den Naturgesetzen den Regeln der Logik unterworfen – also auch den Bedingungen erfolgreicher Selbstorganisation.






Beim Wort »Struktur« dachte man früher vor allem an materielle Gebilde, die unter inneren und äußeren Kräften ein stabiles Gleichgewicht gefunden haben – eben die Struktur im Raum. Heute ist klar, daß alle komplexeren Gestalten ihre Existenz und ihr Wesen dem ständigen Energieaustausch oder Stoffwechsel mit ihrer Umgebung verdanken. Während abgeschlossene Systeme auf das »langweilige« thermodynamische Gleichgewicht zustreben, in dem sich alle Unterschiede so weit wie möglich ausgleichen, besteht in offenen Systemen die Neigung, ja, der Zwang, die hinein- und hinausführenden Strömungen unter dem Einfluß der unvermeidlichen zufälligen Schwankungen in geregelte Bahnen zu lenken, die mit zunehmender Vielfalt der äußeren und inneren Wechselwirkungen immer raffiniertet werden. Dies zeigt sich schon in einem rasch fließenden Bach, bei der Bildung geradezu lebendig wirkender räumlich-zeitlicher Muster im Verlauf mancher chemischer Prozesse, in den Wabenmustern in einer von unten geheizten Flüssigkeit oder in den äußeren Schichten der Sonne, im irdischen Wetter – und natürlich erst recht in den Lebensvorgängen selbst, von den Zellfunktionen über Jäger-Beute-Beziehungen in Ökosystemen bis hin zum Fühlen und Denken einzelner und zu den gesellschaftlichen Prozessen.






Seit den bahnbrechenden Gedanken Ilya Prigogines und einiger anderer Forscher wurden unübersehbar viele Beispiele für solche Gestalten beschrieben, und seit es die Computerentwicklung ermöglicht, der unendlich vielfältigen Grenze zwischen Ordnung und Chaos in Details nachzuspüren, zeigt sich, daß oft schon recht simple Systeme nichtlinearer Gleichungen mathematische Modelle für höchst komplex erscheinende Vorgänge liefern können. Das sich ergebende Weltbild zeigt eine Hierarchie raum-zeitlicher Gestalten, die jeweils nahezu in sich selbst zurücklaufende Prozesse (»Kreisprozesse«) darstellen, deren Reibung (»Dissipation«) durch einströmende »freie« Energie wettgemacht wird. Die Gestaltprinzipien einer Hierarchie-Ebene dienen jeweils als »Bausteine« auf einer noch komplexeren, »darüber« liegenden Ebene. Und dabei wird unabweisbar deutlich: All diese Komplexitätsebenen vom extrem simplen Urknall über die Elementarteilchen, die Atome, die Milchstraßensysteme und Sterne, die chemische Vielfalt interstellarer Gas- und Staubwolken und Planeten, die Fülle der aufeinander aufbauenden Lebensformen bis hin zu uns selbst – all dies ist im Laufe der Weltgeschichte, die wir auch den Schöpfungsprozeß nennen, schrittweise auseinander hervorgegangen. »Ganz von selbst.« Die jeweils vorhandenen Gestalten tasten durch die zufälligen Schwankungen und ihre Begegnungen mit anderen die »Nachbarschaft im Raum der Möglichkeiten« ab – und wenn in dieser »Ko-Evolution« Systeme von noch besser zusammenpassenden Strukturen und Prozessen zustandekommen, die deshalb überlebensfähiger sind, so überleben sie wahrscheinlich. In äußerster Verkürzung ist das Prinzip der Schöpfung nichts als die Tautologie: »Wahrscheinlich geschieht Wahrscheinliches.« Und doch liegt eben hierin ein unerschöpfliches Potential zur Gestaltentwicklung.






Kaum einer hat wie Erich Jantsch eine solche Fülle von Anschauungsmaterial für die Prinzipien der Selbstorganisation zusammengetragen oft aus persönlicher Kenntnis und im Kontakt mit den Forschern an der Front dieser Erkenntnisse. Und kaum einer hat so viel spekulative Phantasie aufgewandt, um wesentliche Züge der vielfältigen Detailabläufe zu ertasten und durch übergeordnete neue Begriffe zusammenzufassen. Nirgends erhob er den Anspruch, endgültige Wahrheit zu verkünden. Und natürlich hat er gelegentlich geirrt, ein unsicheres Ergebnis zu unkritisch als Tatsache übernommen, etwas mißverstanden oder ist mit Spekulationen über das Ziel hinausgeschossen. Aber das mindert kaum den Wert dieses Buches, das auch 13 Jahre nach seinem ersten Erscheinen nicht nur dem nach »Allgemeinbildung« strebenden Leser etwas bietet, sondern gerade auch den Wissenschaftler zur Fortsetzung seines Tastens und zu noch klarerer Begriffsbildung anstachelt.









Vorwort von Paul Feyerabend






In den Wissenschaften und im »Rationalismus«, der ihnen zugrundeliegt, spielt das folgende Verfahren eine wichtige Rolle: Um einen Gegenstand oder einen Prozeß zu verstehen, zerlegt man ihn in klar erfaßbare und voneinander scharf getrennte Elemente, führt Gesetze ein für die Kombination dieser Elemente und ihre Veränderung und baut dann den Prozeß aus diesen Bestandteilen auf. Dabei trennt man nicht nur die Elemente voneinander, man trennt auch die Gesetze von den Elementen; nicht die innere Natur der Elemente, sondern ein ihnen von außen auferlegter Zwang bestimmt damit ihr Verhalten.






Dieses »mechanische« Vorgehen wird nicht nur bei der Behandlung der unbelebten Natur angewandt, sondern auch bei der Behandlung des Lebens, des Bewußtseins, der Erkenntnis und aller sozialen Phänomene. So erklärt man zum Beispiel die Entwicklung der Arten aus der Kombination eines Eliminationsprozesses mit Veränderungen, die von diesem Prozeß unabhängig sind. Die Erkenntnis wird aufgelöst in logische Elemente, in scharf von ihnen getrennte psychologisch-soziale Elemente und in davon wieder unabhängige materielle Elemente.






Solcher Aufspaltung der Welt in Elementengruppen mit verschiedenen Gesetzen entspricht eine Aufspaltung ihrer Erforscher in Fächer und Disziplinen mit verschiedenen Ideen, Methoden und nur geringer Wechselwirkung an den Rändern. Die Forscher wissen ungeheuer viel in einem engen Bereich – aber außerhalb dieses Bereichs geben sie sich mit Vorurteilen und Gerüchten zufrieden.






Diese Situation erklärt, warum es so schwer ist, ein einheitliches Bild des Weltprozesses zu erhalten, an dem wir teilnehmen, und warum das Zusammenpassen von Natur und Gesellschaft neuerdings so großen Schwierigkeiten begegnet. Die meisten Probleme, die sich einer solchen Zusammenfügung entgegenstellen (Leib-Seele-Problem, Problem des Verhältnisses von Normen und Tatsachen, Vernunft und Praxis, Leben und Materie, Prozeßregelung und geregeltem Prozeß), sind ja in Wahrheit Ergebnisse des beschriebenen mechanistischen Vorgehens: Verlangt man begriffliche oder methodologische Reinheit, verbietet man eine Vermengung von Ideen, die verschiedenen Bereichen angehören, so ist eine einheitliche Behandlung von vornherein ausgeschlossen.






Andererseits ist die Einheit des so Getrennten schlicht eine Tatsache. Materielle Prozesse haben Einfluß auf Geistiges und werden von ihm beeinflußt. Bürger argumentieren »logisch« und führen auf diese Weise weitreichende materielle Veränderungen herbei. Logik, Psychologie, Soziologie und »rohe« Materie sind in diesem Prozeß untrennbar verbunden. Dem vielfach aufspaltenden Denken und Handeln steht die reale Welt als einheitliches Gebilde gegenüber.






In den Wissenschaften des 20. Jahrhunderts machen sich nun verschiedene Tendenzen bemerkbar, diese Einheit zu erfassen. Große Teile der Chemie werden in die Physik absorbiert, Biologie und Physiologie überschneiden sich mit der Physik und der Chemie, die Archäologie zwingt Anthropologen und Erkenntnistheoretiker zum Umdenken. In gewissen Formen der Allgemeinen Relativitätstheorie zerfällt die Welt nicht mehr in Felder und Teilchen, die einander nur äußerlich beeinflussen, sondern Teilchen werden selbst Teile der Raumzeit-Materie-Struktur, die sich nach den Feldgesetzen bilden und bewegen. In der Quantentheorie hat man entdeckt, daß die scharfe Scheidung zwischen Subjekt und Objekt nur eine Annäherung darstellt, und man vermutet, daß Ähnliches auch für andere Unterscheidungen gilt – etwa für die Unterscheidung zwischen Physischem und Psychischem. Der mathematische Intuitionismus ist ein Versuch, die »objektiven« und abstrakten Gesetze der Mathematik aus der Rechen- und Beweispraxis zu erklären und so eine Verbindung herzustellen zwischen Psychologie, Soziologie und Logik. In der Thermodynamik verfolgt man neue Ideen, nach denen die Organisation von Systemen nicht etwas Zufälliges, sondern etwas aus der Entwicklung der Systeme selbst Hervorgehendes ist. Aufgeweckte Wissenschaftler mobilisieren die Ideen älterer Philosophen wie Aristoteles oder Hegel und sogar fernöstliche Denksysteme, um solche Entwicklungen zu fördern und einem einheitlichen Gesamtbild einzuordnen. So bereitet sich allmählich ein neues Weltbild vor mit einer neuen Auffassung von der Rolle des Menschen in der Welt und von seinen Verantwortlichkeiten. Der Mensch ist nicht mehr ein Fremdling im Universum, der sich durch zielloses Herumprobieren allmählich von Irrtümern befreit und eine renitente Natur durch Gewalt für seine Zwecke verändern muß, sondern er ist ein Teil dieser Natur, in Harmonie mit ihr, zur Erhaltung dieser Harmonie entstanden und verpflichtet.






Im vorliegenden Buch beschreibt Erich Jantsch die wissenschaftlichen und philosophischen Ergebnisse, die diese neue Schau vorbereiten. Von der Physik zur Biologie, zur Soziologie, zur Ethik, Theologie und Kunst fortschreitend stellt er eine Fülle von Einzeltatsachen, Forschungsansätzen und vorläufigen Spekulationen dar, die den mechanistischen Rahmen der bisherigen Wissenschaften und der ihm zugeordneten Philosophien sprengen. Er hat diese Tatsachen, Ansätze und Spekulationen nicht nur aus Büchern zusammengeklaubt, sondern ihr Entstehen aus der Nähe beobachtet und verfolgt, denn er kennt die meisten Forscher, von deren Resultaten er berichtet, hat von ihnen in Diskussionen gelernt und sie seinerseits beeinflußt. Doch er stellt die neuen Ansätze nicht nur dar, er vereinigt sie in einer umfassenden Betrachtungsweise, die sowohl Ethik ist als auch Kosmologie, Theologie und Anthropologie, Physik und Geschichte – und die unser einseitiges Bemühen auf speziellen Gebieten ersetzt durch die Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit aller Phasen des Weltprozesses, begleitet vom Streben, nun bewußt beizutragen zur Harmonie des Ganzen.






Berkeley, Juli 1979
Paul Feyerabend









Vorwort des Autors






Vor einigen Jahren hörte ich im Wiener Palais Palffy einen Vortrag von Max Horkheimer über Sigmund Freud. Humanistisch in seiner Engagiertheit für den Menschen, konnte Horkheimer dennoch nicht umhin, die triste Botschaft aus dem Beginn unseres Jahrhunderts getreulich als eine von der Wissenschaft erarbeitete, absolute Wahrheit zu übermitteln: Die Zukunft des Menschen werde durch sein Funktionieren in den einzigen legitimen Bereichen seiner Existenz, Arbeit und Sexualität, bestimmt werden. Der Rest – Geist, Liebe und so weiter – werde von der Evolution der Menschheit als unnötiger Luxus ad acta gelegt werden. Am Ende des Vortrags begab sich nun etwas Außergewöhnliches. Eine junge Frau, offenbar Studentin, erhob sich und fragte den Vortragenden in höchster Erregung, mit Tränen in den Augen, ob das alles sei, was er einem jungen Menschen fürs Leben mitgeben könne – die Aussicht auf mechanisches Funktionieren ohne Liebe, ohne Schönheit, ohne Freude. Vor allem ohne Liebe. Wie könne sie sich zu einem Leben bekennen, von dem die Liebe ausgeschlossen bleibe! Horkheimer, von der beschwörenden Eindringlichkeit der Frage sichtlich bewegt, dachte lange nach. Dann gab er zu, daß all das, was in der Geschichte der Menschheit Würde, Sinn und Freude ausgemacht hat, zwar vom Einzelnen immer noch realisiert werden könne, daß aber auch nur der Einzelne für sein eigenes Leben die Entwicklung zurückdämmen könne, die die Menschheit als Ganzes unabwendbar in eine sinnlose, materialistisch funktionierende Existenz reißen werde.






Für diese junge Frau, der ich niemals begegnet bin und die ich nur über die Köpfe eines vollbesetzten Saales hinweg gesehen habe, wollte ich schon immer ein Buch schreiben. Ich kann das Versprechen, das ich mir damals selbst gegeben habe, jetzt einlösen. Das vorliegende Buch gibt nicht nur ihrem Vertrauen in ihr eigenes Leben und in den Sinn seiner Entfaltung hundertmal recht – es kann dieses Vertrauen auch mit den allerjüngsten Ergebnissen einer Wissenschaft bestätigen, die ihrerseits im Begriffe ist, lebensnah zu werden. Ich hoffe, die junge Frau braucht das Buch nicht mehr. Ich hoffe, sie hat nicht nur erfühlen, sondern auch realisieren können, daß sie nicht auf der Welt ist, um zu überleben, sondern um zu leben.






Aber es geht nicht nur um den Einzelnen und was er aus seinem Leben zu machen imstande ist. Die ganze Kultur liegt heute schief. Dies wird mir nie stärker bewußt als in den Seminaren, die ich von Zeit zu Zeit an deutschen Universitäten abhalte. »Wenn es stimmt, daß alles in der Evolution nach Entfaltung und neuer Ordnung drängt, daß darin eine so positive Bewegung steckt«, fragte mich kürzlich eine Studentin, »wie kommt es dann, daß das Leben etwas so Negatives ist?« Ich habe eine Ursache dieser Verwirrtheit im Leitbild der Erziehung, vom Elternhaus bis zur Universität, gefunden. Dieses Leitbild betont Härte, Selbstdisziplinierung und die Fähigkeit, sich in einer feindlich gesinnten Umwelt und in brutalen Kämpfen durchzusetzen. Es wird im wissenschaftlichen Jargon als Sozialdarwinismus bezeichnet und hat sehr viel mit jener Evolutionsideologie zu tun, die auch heute noch als Darwinismus oder Neodarwinismus die akademische Lehre beherrscht. Immer ist von Überlebenswerten die Rede, fast nie von den Werten des Lebens, von der Freude schöpferischen Ausgreifens. Das gilt auch für große Bereiche der Sozialwissenschaften.






In der gesellschaftlichen Realität entsteht so auf der einen Seite jener Terrorismus, der viel eher Ausdruck ohnmächtiger Verzweiflung ist als Ausdruck der Hoffnung auf Wandel. Auf der anderen Seite entsteht daraus eine kalte Technokratie und Meritokratie. Es ist mir sehr ernst mit meiner Überzeugung, daß nur ein vertieftes Verständnis der Art und Weise, wie Systeme aller Ebenen – von Organismen bis zu Ökosystemen und der gesamten Biosphäre, von Individuen und der Familie bis zu menschlichen Gesellschaften und Kulturen – leben und nicht nur funktionieren, uns vor Orwells »1984« bewahren kann, wo dieses nicht schon Wirklichkeit geworden ist. Ich wurde zum Mitbegründer des »Club of Rome«, um dieses Verständnis zu fördern; ich war der erste, der aus dem Club austrat, als er begann, dieses Ziel zu verfehlen.






Als ich kurz nach dem Kriege an der Wiener Universität studierte (und mit Paul Feyerabend Seminare über Probleme der Astronomie organisierte, die den Professoren zu schwierig waren), träumten manche unter uns von einer Weltkultur und einem absoluten Wertesystem, das jenseits des so schwer kompromittierten Allzu-Menschlichen und Unmenschlichen verbindlich sein könnte. Mit dem damals noch optimistischen Arnold Toynbee glaubten viele, eine Weltkultur könne sich auf die kristallenen Wahrheiten der Wissenschaft gründen – der westlichen Wissenschaft, wohlgemerkt. Diese Euphorie dauerte nicht lange. Auch ich habe meine persönliche Krise mit der Wissenschaft durchgemacht. Doch sie war für mich zu Ende, als ich mein Leben als Prozeß begriff, nicht als einen soliden Block, an dem sich Geld und Fett und »gesichertes« Wissen ansetzen. Nach letzter Zählung lebe ich bereits meine neunte dynamische Lebensstruktur, mit »Beruf« nur unzulänglich charakterisiert. Immer wieder wurde ich durch unerwartete Fluktuationen über eine Instabilitätsschwelle in eine neue Struktur getrieben. Ich habe es nie bereuen müssen.






Als ich begann, mein Prozeß-Leben so recht zu goutieren, ging es mir auch in der Wissenschaft nicht mehr um absolute Wahrheiten, sondern um sich wandelnde Denkrahmen, da ich ordnen wollte, was mich faszinierte und worin mein Leben sich auszudrücken schien. Was ich suchte – mehr noch, wozu mein eigenes Leben geworden war –, fand ich im Prozeßdenken und in jenem sich entfaltenden Paradigma der Selbstorganisation, mit dem sich seit etwa zehn Jahren eine neue, lebensnähere Phase der Wissenschaft abzuzeichnen beginnt. Dabei interessiert mich besonders, wie dieses Paradigma selbst aus einer Dynamik der Selbstorganisation entsteht, wie viele scheinbar unzusammenhängende Konzepte und empirische Resultate ein Beziehungsnetz schaffen, dessen sich die daran Beteiligten selbst bisher kaum bewußt geworden sind. Meine größte Freude ist es, in dieser Selbstorganisation gelegentlich als Katalysator wirken zu können.






Ich möchte auch in diesem Buch keine absoluten Wahrheiten verkünden. Mir geht es derzeit eher darum, ein Paradigma auszuweiten und zu stärken, als seine Grenzen kritisch zu testen, wofür später noch immer Zeit sein wird. Ich stelle hier eine Vision vor, die mich fasziniert und für welche die Zeit gekommen scheint, als »Ökosystem« neuester wissenschaftlicher Konzepte präsentiert zu werden. In mystischer Form, zum Beispiel im Buddhismus, ist sie schon lange geistiges Gut der Menschheit. Diese Vision ist, auf den kürzesten Nenner gebracht, die dynamische Verbundenheit des Menschen mit der Evolution auf allen Ebenen, eine Verbundenheit über Raum und Zeit, die ihn selbst als integralen Aspekt einer universalen Evolution erscheinen läßt. Aus dieser Verbundenheit ergibt sich ein Sinn des Lebens, der all jenes stereotype Gerede vom »Überleben der Menschheit« als höchstem Wert oder von der »Evolution als Spiel, bei dem der einzige Gewinn darin besteht, im Spiel zu bleiben«, als armselig und leer erscheinen läßt. Und um Sinn geht es heute wohl mehr denn je.






Wie gesagt, ich möchte in diesem Buch eine Vision präsentieren, von der ich derzeit überzeugt bin, weil ich sie selber lebe. Ein guter Teil des von mir zur Stützung meiner Argumente benutzten Materials hat auch anderen Evolutionstheoretikern vorgelegen. Jacques Monod (1971) hat daraus seine sinnleere Welt gebaut, die aus dem allerunwahrscheinlichsten Zufall entstanden ist und sich nun verzweifelt ans Überleben klammert, ohne zu wissen warum. Manfred Eigen und Ruthild Winkler (1975) haben daraus die Bestätigung eines allzu einseitigen Darwinismus im Sinne von Auswahlspielen nach starren Regeln herausgelesen. Um aber Mißverständnissen vorzubeugen, beeile ich mich zu betonen, daß weder Physikalismus noch Vitalismus (die Annahme einer allgegenwärtigen besonderen Lebenskraft, wie etwa Bergsons élan vital) in diesem Buch – wie auch in der modernen Diskussion um Evolution überhaupt – eine Rolle spielen.






In der akademischen Wissenschaft gilt immer noch jener Minimalismus als »objektiv«, der eher Phänomene auszuschließen als ihre Reduktion auf eine einzige Beschreibungsebene zu opfern bereit ist. Wie ich im vorliegenden Buch zu zeigen hoffe, ist es aber gerade für eine sich neu etablierende, selbstorganisierende Struktur nur natürlich, in der ersten Phase einem Maximalismus zu huldigen, der weder Kosten noch Ideen scheut. Das Paradigma der Selbstorganisation ist eine solche neue, sich etablierende Struktur, für die ein Maximalismus derzeit durchaus angemessen erscheint. Dieser Maximalismus ist nicht mehr »objektiv« – was ja oft bloß Anpassung an geläufige Denkrahmen heißt –, sondern bewußt objektiv und subjektiv zugleich wie das Leben. Ich bekenne mich offen dazu.






Trotz des zu einem großen Teil naturwissenschaftlichen Inhalts ist dieses Buch in seiner Zielsetzung humanistisch. Es ist an der Zeit, mit C. P. Snows These der zwei Kulturen, einer naturwissenschaftlichen und einer humanistischen, aufzuräumen, die so viel zur Verwirrung der frühen sechziger Jahre beigetragen hat. Obwohl naturwissenschaftlich ausgebildet, bin ich von der Seite menschlichen Planens und Handelns herkommend auf die Evolutionsproblematik gestoßen. Meine Studien zu einer Systematisierung von Prognosetechniken (Jantsch, 1967) und zur Theorie langfristiger Planung (Jantsch, Hg., 1969, 1972) haben mir (in meiner sechsten oder siebenten Lebensstruktur) die Problematik menschlichen Handelns in einem dualistischen Denkrahmen deutlich vor Augen geführt. Wenn wir uns aus der Evolution »herausgefallen« wähnen, wenn Kultur gegen Natur steht, so ist alles Handeln Vergewaltigung eines »natürlichen« Ablaufs – vor allem, wenn es die Macht der Technik einzusetzen hat. Wir erleben heute, wie die Frustration, die aus solcher Einzwängung stammt, schrittweise alle langfristigen Pläne zu lähmen beginnt. Weder Atom- noch Kohle- noch Wasserkraftwerke scheinen mehr akzeptabel. Im nordamerikanischen Tennessey Valley hat die Entdeckung eines seltenen Fisches, des sieben Zentimeter langen Snail Darter, den Obersten Gerichtshof dazu bewogen, die Inbetriebnahme des Tellico-Dammes, der 120 Millionen Dollar gekostet hatte, zu untersagen, und in Kalifornien führte das Vorkommen eines seltenen Unkrauts fast zur Einstellung eines Siedlungsprojekts. Die Verhältnisse geraten in Verwirrung. »Es ist leicht, stillzustehen und keine Spuren zu hinterlassen«, schrieb der chinesische Dichter-Philosoph Chuang-Tzu vor mehr als zweitausend Jahren, »aber es ist schwer zu gehen, ohne den Boden zu berühren.«






In meinem ersten Buch über Evolution (1975) ging es mir daher vor allem darum, einen nicht-dualistischen psychologischen Rahmen zu erkunden, in dem der Mensch innerhalb der Evolution als ihr Akteur wirken kann. Dies sprengt den Rahmen des üblichen rationalen Denkens, das nur zu optimieren und auszuführen vermag, was unser Weltbild und unser Wertesystem uns zu tun heißen. Die Sache ist aber nicht hoffnungslos. Im Gegenteil, wir haben die Weisheit in uns, um die Evolution zu »erspüren« und die richtige Richtung einzuschlagen. Es geht in erster Linie darum, die Starrheit jener mentalen Modelle zu brechen, die wir in die Welt hinausprojizieren und die als mächtige Mythen zu uns zurückkehren – siehe Wachstumsmythen, soziale Statusmythen und dergleichen mehr. Eine evolutionsgerechte Haltung bedeutet daher nicht Ausklammerung des Denkens und passives Geschehenlassen, wie viele Menschen glauben, sondern im Gegenteil intensivsten und koordinierten Einsatz aller geistigen Fähigkeiten, die wir auf unserer Stufe der Evolution mitbekommen haben.






Mein zweites Buch zum Thema der Evolution (1976) wurde ein Multi-Autoren-Buch, das ich gemeinsam mit dem bedeutenden Biologen, Evolutionstheoretiker und Humanisten Conrad Waddington herausgab, der kurz darauf starb. Es entwirft ein Panorama selbstorganisierender Phänomene von der molekularen bis zur soziobiologischen und soziokulturellen Ebene und gibt einen Überblick über die theoretischen Ansätze, mit denen diese Phänomene behandelt werden können.






Mit dem vorliegenden dritten Buch zu diesem Thema versuche ich nun, den Kreis zu schließen und die großen Zusammenhänge einer vielschichtigen Evolution in ein mehr oder weniger konsistentes Schema zu bringen. Diese Zusammenhänge sind mit Schlagworten wie Selbstorganisation, Koevolution, Selbsttranszendenz und Kreativität charakterisierbar. Aus ihnen ergibt sich das Bild einer offenen, nicht-teleologischen (und auch nicht-teleonomischen) Evolution, deren Bedingungen auf allen Ebenen Offenheit, Ungleichgewicht und autokatalytische Selbstverstärkung sind.






Für alle drei Bücher war meine freundschaftliche Verbundenheit mit Ilya Prigogine von der Freien Universität Brüssel und der Universität von Texas in Austin die reichste Inspirationsquelle. Der beste Teil des Paradigmas der Selbstorganisation ist sein Lebenswerk. Ich verdanke ihm und seinen Mitarbeitern nicht nur unzählige philosophische und wissenschaftliche Gespräche, sondern auch die Überlassung von reichem Material vor dessen Veröffentlichung. Die Nachricht von der Verleihung des Nobelpreises für Chemie an Ilya kam gerade, als ich mitten in der Arbeit zu diesem Buch steckte. Sie kam an einem Morgen, als der Himmel über Berkeley weiß war von selbstorganisierenden Strukturen. In ganz Nordkalifornien waren zur selben Stunde winzige Ballon-Spinnen aus dem Ei geschlüpft und auf die Spitzen von Grashalmen geklettert, hatten dort seidenartige Bällchen gewoben und wie auf ein Signal alle zur gleichen Zeit losgelassen. So segelten sie dahin und wurden vom Wind zusammengetrieben, bis sich luftige Kolonien von manchmal 150 Meter Länge bildeten, die in Höhen bis zu 1500 Meter heroisch der Gründung einer Heimstatt im Unbekannten zuflogen, sofern sie nicht vorher ins Wasser fielen. Es war die Verkörperung des risikofreudigen Ausgreifens, der Bildung neuer Ordnung, wo noch keine bestand – kurz, der selbstüberschreitenden Dynamik des Lebens.






Ich weiß nicht, was Ilya dazu sagen wird, wenn er in diesem Buch seine Ideen rnit einer ganzen Reihe weiterer neuer Konzepte in einer gemeinsamen Perspektive – oder dem Versuch einer solchen – wiederfindet. Hingegen weiß ich genau, daß meine chilenischen Freunde Humberto Maturana und Francisco Varela nicht glücklich darüber. sind, wenn ihr Konzept der »Autopoiese« in den weiteren Rahmen dissipativer Selbstorganisation gestellt wird. Sie wollen es nur auf biologische Zellen und Organismen angewandt sehen. Ich habe ihnen gern versprochen, den Leser von meinem Mißbrauch zu unterrichten. Daraufhin haben wir auf das Flüggewerden ihres bis dahin so sorgsam gehüteten neuen Konzepts angestoßen.






Ich fühle, daß dieses Buch mehr noch als meine früheren von meinen Kontakten mit sehr vielen Menschen profitiert hat. Für Diskussionen, Korrespondenz und Austausch von Publikationen möchte ich insbesondere den folgenden, alphabetisch aufgeführten Personen danken: Ralph Abraham (University of California, Santa Cruz), Richard Adams (University of Texas, Austin), Agnès Babloyantz (Université Libre de Bruxelles), Gregory Bateson (University of California, Santa Cruz), Fritjof Capra (University of California, Berkeley), Manfred Eigen (Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen), Ingemar Falkehag (Self-Renewing Systems, Charleston, South Carolina), Paul Feyerabend (University of California, Berkeley), Roland Fischer (Esporles, Mallorca), Heinz von Foerster (Pescadero, California), Walter Freeman (University of California, Berkeley), Herbert Guenther (University of Saskatchewan), Wolf Hilbertz (University of Texas, Austin), Brian Josephson (Cambridge University), Antonio Lima-de-Faria (Universität Lund), Lars Löfgren (Universität Lund), Paul MacLean (National Institutes of Health, Bethesda, Maryland), Lynn Margulis (Boston University), Magoroh Maruyama (University of Southern Illinois, Carbondale), Mael Marvin (Temple University, Philadelphia), Dennis McKenna (Honolulu), Terence McKenna (Freestone, California), Lloyd Motz (Columbia University, New York), Yuval Ne‘eman (Universität Tel Aviv), Pierre Noyes (Stanford Linear Accelerator Center), Walter Pankow (Zürich), Karl Pribram (Stanford University, California), Rupert Riedl (Universität Wien), Walter Schurian (Universität Münster), Peter Schuster (Universität Wien), Paolo Soleri (Arcosanti, Arizona), Isabelle Stengers (Université Libre de Bruxelles), Sir Geoffrey Vickers (Goring-on-Thames, England), Conrad Waddington (Edinburgh University, im September 1975 gestorben), Christine von Weizsäcker (Kassel), Ernst von Weizsäcker (Gesamthochschule Kassel), Arthur Winfree (Purdue University, Lafayette, Indiana), Milan Zeleny (Copenhagen School of Economics).






Ich fühle aber auch, daß die Wurzeln dieses Buches viel tiefer in mein Leben hinabreichen, in die Zeit meiner intensiven Beschäftigung mit Musik und meiner Bekanntschaft mit großen Musikern. Ich schreibe noch immer Variationen über jenes Buch, das Wilhelm Furtwängler mit mir verfassen wollte und von dem nur das Kapitel »Tempo« entstand, bevor der Tod eingriff. Das Atmen der Natur im Tempo der Musik – geht es nicht auf das gleiche Pulsieren der dynamischen, selbstorganisierenden und selbstüberschreitenden Welt zurück, das im vorliegenden Buch zur Darstellung gelangt? Ich erinnere mich noch genau, daß ich für Astrid, meine Freundin aus jener Zeit, diese Themen behandeln wollte, die ich erst heute an einem Zipfel zu fassen kriege. Doch es ist nicht zu spät. Sie ist heute unter meinen Freundinnen die einzige, die meine Bücher wirklich liest.






Manfred Eigen, Paul Feyerabend, Walter Freeman, Ervin Laszlo (UNITAR, New York), Lynn Margulis, Ilya Prigogine, Walter Schurian, Isabelle Stengers und Ernst von Weizsäcker haben das Manuskript teilweise oder ganz gelesen. Ich verdanke ihnen wertvolle Anregungen und Korrekturen; die stehengebliebenen Fehler sind meine eigenen.






Als mich vor nicht langer Zeit das Rastor-Institut in Helsinki zu einem Vortrag einlud, bot es mir kein Honorar an, sondern ein Stipendium. Es kam der Arbeit an diesem Buch ebenso zugute wie eine Einladung als Gastprofessor an die Gesamthochschule Kassel im Sommersemester 1977.






Der vorliegende Text ist eine erweiterte Fassung der öffentlichen Gaither Lectures in Systems Science, die ich im Mai 1979 auf Einladung der University of California in Berkeley hielt. Ich bin dem Center for Research in Management und seinem Vorsitzenden, C. West Churchman, für die Organisation dieser Vorlesungsreihe zu großem Dank verpflichtet.






Schließlich möchte ich Burkhart Kroeber vom Hanser Verlag für die angenehme, genaue und speditive Zusammenarbeit danken. Er hat mein erschüttertes Vertrauen in das deutsche Verlagswesen wiederhergestellt.






Berkeley, Kalifornien, Juni 1979



Erich Jantsch