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Hans Jürgen Krysmanski
0,1 %
Das Imperium der Milliardäre


Frankfurt am Main 2012 (Westend); 288 Seiten; ISBN 978-3-86489-023-9
Neuausgabe 2015






Wir sind die 99 Prozent“, lautete eine Parole der Occupy-Wall-Street-Bewegung. In diesem Buch geht es um die 0,1 Prozent: die Schicht der Superreichen. Sie umfasst weltweit nur wenige Tausend Personen und Familien und ist ein globales, ein kosmopolitisches Phänomen. Alles Geld wird zu diesen Milliardären hingezogen wie in ein schwarzes Loch. Die Geldeliten verselbständigen sich, sie beginnen im wahrsten Sinne des Wortes, auf eigene Faust mit Söldnerarmeen, privaten Polizei- und Geheimdiensten zu operieren. Klimawandel, Ressourcenprobleme und wachsende, unumkehrbare Arbeitslosigkeit deuten auf ein kommendes globales Szenario nackter Überlebenskämpfe. Für eine solche Rette-sich-wer-kann-Welt glauben sich die Geldeliten gut gerüstet. – Hans Jürgen Krysmanski zeigt, dass sich zukünftig neue und neuartige Klassenkonflikte entwickeln werden und dass wir letztlich nicht umhin kommen, an diesen Konflikten teilzunehmen. (Buchrückseite)


Hans Jürgen Krysmanski


1935-2016, war ein deutscher Soziologe und lehrte als Hochschullehrer an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seine thematischen Schwerpunkte waren die Klassen-, Friedens- und Konfliktforschung. Er war Mitglied des Präsidiums des Weltfriedensrats und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Prolog: Eat the Rich (1999)
Ein bis zwei Prozent
Der Mythos der Titanen
Von der Nützlichkeit der Milliardäre

1. Ein weites Feld
Wem gehört die Welt?
Gibt es eine „globale herrschende Klasse“?
Eigentumsformen des Kapitals
Richistan
Ein bisschen Marx
Spielereien?

2. Die Aneignung Europas
Schamloser Reichtum
Geldmacht und Geldmachtkomplex
Ein neuer Souverän?
Das europäische Projekt

3. Das private Imperium
„An sich“ und „für sich“
Empire und Biopolitik
Plutokratie?
Nationalstaaten, Sozialdemokratie und John Galt
Corporate Power und die Davos-Klasse

4. Milliardäre
Berater
Sozialgeographisches
Kapitalisten?
Forbes versus Bloomberg
The Giving Pledge
Private Welten
Exkurs
Ein Oligarch bringt es auf den Punkt

5. Varianten des Kapitalismus
Milieuskizzen
Waffenmärkte
Finanzmärkte
Frederic Jameson liest Das Kapital
Planetarisierung
Nomadisierung

6. Können Milliardäre das Kapital überwinden?
Musterung der Kräfte
Mäzene, Think-Tanks, Stiftungen
Zwischen Refeudalisierung und Absurdistan
Singularitäten

Epilog: Avanti Dilettanti (2029)
Widersprüche
Über die Befreiung aller Planungsdaten

Abkürzungen, Anmerkungen, Personenregister


Leseprobe


Vorwort der Erstauflage

Auf der Frankfurter Buchmesse 2010 sprachen wir über den Plan, ein Buch über Deutschlands „äußerst öffentlichkeitsscheue und der breiten Masse kaum bekannte Milliardäre“ (
Financial Times Deutschland) herauszubringen. Der zunächst angedachte Titel „Wie Milliardäre den Kapitalismus überwinden“ schien das gehörige Quentchen an Ironie zu enthalten, das einem solchen Thema angemessen war, von dem Carl Schmitt einst sagte, kein Soziologe wage sich dran. Und ich hatte ja schon ein einschlägiges Buch geschrieben, das sich vor allem auf die Geschichte der amerikanischen Reichtumsforschung konzentrierte (Hirten und Wölfe. Wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen). Eine Beschränkung allerdings allein auf Deutschland war auch bei dem neuen Projekt nicht sinnvoll, denn diese Schicht der Superreichen, die ja weltweit nur wenige tausend Personen und Familien umfasst, ist ein globales, ein, wenn man so will, kosmopolitisches Phänomen.

Wir, das heißt Verleger, Verlagslektorin und ich, sprachen also über dieses Buch, amüsierten uns und optierten schließlich – eingedenk der neuen Protestbewegungen Occupy Wall Street und 99 Prozent – für den Haupttitel 0,1 Prozent. Ich begann, meine Materialberge zu sichten, Neues zu sammeln und erste Skizzen zu schreiben. Es war die Zeit, in welcher in den USA der Vorwahlkampf innerhalb der Republikanischen Partei um die Präsidentschaftskandidatur an Fahrt auf- und ungeahnte Schärfe annahm. Die großen amerikanischen Blätter der Ost- und Westküste titelten bald „Big backing for Romney from the wealthy few“, „A Big Check, and Gingrich Gets a Big Lift“ und so fort. Je mehr man sich in diese Welt des hemmungslosen Stimmenkaufs vertiefte, je ominöser bei uns die Auseinandersetzungen um den kleinen Nebenschauplatz Schloss Bellevue und in Europa um den großen Eurogoldrausch wurden, desto mehr verdüsterte sich meine Stimmung.

Der Mut, dieses Buch zu schreiben, verließ mich fast nach der folgenden Episode. Das Thema Superreiche hatte ja in der Krise der Finanzmärkte endlich auch die Mainstream-Medien erreicht, altkonservative Zeitungen nahmen sich der unverkennbaren „plutokratischen“ Tendenzen in unserer Gesellschaft an und lobten nicht nur Marx, sondern sogar den Anarchismus. Und so bekam auch ich – wegen meines früheren Buches – des öfteren Interviewanfragen. Ich wollte mir aber den Kopf frei halten und sagte deshalb nur bei ein, zwei Gelegenheiten zu. Und wenn ich mich schon darauf einließ, wollte ich wenigstens die Wogen testen und mit der einen oder anderen These auch übertreiben und provozieren.

Ein willkommener Anlass war die inzwischen jährlich erscheinende Sonderausgabe des
Manager Magazins „Die 500 reichsten Deutschen“. Hinter dieser Publikation stecken eine gewaltige Fleißarbeit der Redaktion und sicher auch eine brisante Datenbank. Doch öffentlich diskutiert werden die Erkenntnisse kaum – und schon gar nicht vertieft. Man war noch nicht einmal, soweit ich sah, auf die Idee gekommen, die Vermögensbestände der 500 reichsten Deutschen zu addieren. Ich tat das also und „errechnete“ eine Summe von 3,3 Billionen, also 3300 Milliarden Euro. Das war natürlich, bezogen allein auf die 500 Reichsten, um den Faktor zehn zu hoch. Diese (im ganzen Kontext meiner Argumentation durchaus nebensächliche) Aussage „500 haben 3300“ floss in zwei Interviews und von da in zahlreiche Blogs und Foren.

Was dann geschah, drohte mir meine Unbefangenheit auch gegenüber dem ganz allgemeinen Thema gänzlich zu nehmen. Zunächst einmal merkte kaum jemand, dass diese Zahl nicht stimmen konnte. Dann kamen Fixierungen auf dieses Detail und da und dort Aggressionen. Und auf einmal spürte ich, welche ungeheuren Macht- und Herrschaftsenergien eine leichtfertige Provokation hervorrufen kann und welche – sagen wir einmal – Selbsverteidigungskräfte in diesem Macht- und Herrschaftssystem stecken. Wagemut also war angesagt. Jetzt erst recht weiterzuschreiben war die einzige Lösung – und das zugleich mit der Lockerheit und dem Vergnügen, die allein uns jene Unabhängigkeit und innere Freiheit sichern, die zu den Errungenschaften unserer Epoche gehören. Beharren wir also auf unserer subjektiven Souveränität, die durch Geldmacht in Gefahr ist, und machen wir uns auf gelegentlich unterhaltsame Weise kundiger über das 0,1 Prozent der Menschheit, das den Prozess der Globalisierung und die Welt der Postmoderne zu usurpieren droht.

Dieses Buch ist Teil eines offenen Projekts, keine abgeschlossene Analyse oder gar ein fertiges Theoriestück. Es soll anregen, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen – auch im Internet.

Dank an Ingrid Lohmann, Rainer Rilling sowie Christel Buschmann, Karl Philip Lohmann, Renate Krysmanski, Tom Krysmanski, Rainer Schmidt, Thomas Druyen, Detlev Schelsky, Monika Schaack, Reinhard Hauff, Peter Krysmanski, Martin Zeis, Val Burris, J.F., W.M. und nicht zuletzl Beate Koglin und Markus J. Karsten vom Westend Verlag.

Hamburg/Münster, August 2012


Vorwort und Leseprobe der Neuauflage 2015 siehe: https://www.amazon.de/Das-Imperium-Milliard%C3%A4re-ebook/dp/…


S. 34 f (Ein weites Feld/Gibt es eine „globale herrschende Klasse“?)

Die Konzentration an der Spitze der Reichtumspyramide aber ist es, die interessiert. Die Mechanismen dahinter sind seit langem bekannt. So schrieb Dough Henwood 1997 über das US-amerikanische Finanzsystem, einerseits erfülle es „seine angebliche Aufgabe, die Ersparnisse der Gesellschaft in Richtung der besten Investitionen zu lenken, nur höchst kümmerlich. Das System ist wahnsinnig teuer, gibt eigentlich falsche Signale zur Lenkung der Kapitalströme und hat überhaupt kaum etwas mit wirklicher Investitionstätigkeit zu tun. Auf der anderen Seite aber macht der Finanzmarkt eines sehr gut: Er bewirkt die Konzentration von Reichtum. Der Mechanismus ist einfach: Mit Hilfe staatlicher Verschuldung werden Einkommen von unten, von den einfachen Steuerzahlern, nach oben zu den reichen Bondholders, verschoben. Statt die Reichen zu besteuern, borgt die Regierung von ihnen und bezahlt für dieses Privileg auch noch Zinsen. Auch die Konsumentenkredite bereichern die Reichen; wer bei stagnierenden Löhnen und Gehältern seine VISA-Karte benutzt, um über die Runden zu kommen, füllt mit jeder Monatsrate die Brieftaschen der Gläubiger im Hintergrund. Unternehmen des produktiven Sektors zahlen ihren Aktionären Milliarden an jährlichen Dividenden,statt ins Geschäft zu investieren. Kein Wunder also, dass der Reichtum sich auf spektakuläre Weise immer mehr ganz oben zusammenballt.“ (Dough Henwood:
Wall Street: How it works and for whom, London/New York 1997, S. 6)


S. 168 f: Sparpolitik (Varianten des Kapitalismus/Milieuskizzen)

Paul Krugman hat sich eine Weile in Großbritannien aufgehalten, mit Politikern und Experten aus dem Cameron-Lager gesprochen und seine Kritik an der Sparpolitik auf den Punkt gebracht. Sparpolitik wird zum Paradebeispiel jener uralten Strategie, beim Volk durch die Erzeugung von Furcht Pläne durchzusetzen, die dem Volk schaden. Auf den ersten Blick schadet die Schuldenkrise ja den Gläubigern, den angeblich so vielen Kleinen und angeblich auch den von Banken abgeschirmten Großen. Die Großen aber spielen mir dem Schuldendienst, der auf jeden Fall und immer zuerst „die Banken“ rettet. Politiker und Technokraten wissen seit John Maynard Keynes sehr genau, dass der Auf- und nicht der Abschwung die richtige Zeit fürs Sparen ist.

Aber sie haben, so Krugman, ein höheres Motiv und längerfristige Ziele: durch Sparpolitik nämlich das europäische soziale Sicherheitsnetz abzuwerfen und damit die große Scheidung zwischen dem 0,1 Prozent und dem Rest zu einer dauerhaften Gesellschaftsordnung zu machen. Sparpolitik impliziert also Umbauabsichten, nicht kurzfristige Reparaturarbeiten.

Bei seinen konservativen Gesprächspartnern stößt Krugman auf eine seltsame Metapher zur Begründung der Sparpolitik, sie setzt die Schuldenproblematik einer Nationalökonomie mit den Schuldensorgen einer normalen Familie gleich. Eine Familie, die zu viele Schulden habe, müsse den Gürtel eben enger schnallen. Aber eine Volkswirtschaft funktioniert ganz anders, das Geld zirkuliert innerhalb des Systems, so als würden Familienmitglieder einander Geld leihen und mit diesem Geld „Familienprodukte“ herstellen und konsumieren. Und hier wird es dann interessant. Die Sparpolitiker wissen auf dieses Argument keine vernünftige Antwort und retten sich mit dem Satz: „Aber es ist doch entscheidend, den Umfang des Staates zu verringern.“ Und darum, so Krugman, geht es letztendlich. Die Krise muss als Vorwand für den gezielten Abbau des Staates herhalten. „lm Sparkurs der britischen Regierung geht es gar nicht um Schulden und Defizite. Es geht darum, die Defizitpanik als Vorwand für den Abbau von Soziaiprogrammen zu nutzen. Und genau das passiert selbstverständlich in Amerika“ (Paul Krugman: Austerity Agenda, New York Times, 31.5.2012).

So steckt auch hinter derSparpolitik das allgemeinere Ziel, die Grundstruktur aller Kapitalmilieus zu verschleiern, nämlich das katastrophale Anwachsen von Reichtum und Produktivität auf der einen und von Armut und Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite.


Siehe auch


Wikipedia: 0,1 %. Das Imperium der Milliardäre



Hans Jürgen Krysmanski: Der stille Klassenkampf von oben (UTOPIE kreativ, H. 205 (November 2007), S. 999-1011) – PDF