Weiter gegen den Untergang! Eine Auffrischung
Von Ernst Weeber
Untergang?
Wir leben im Zeitalter der globalen Beschleunigungskrise.

Wir Menschen überlasten unser irdisches Biotop nicht nur durch unsere hohe Bevölkerungszahl, sondern auch durch die zunehmende Geschwindigkeit, in der wir dieses Biotop in globalem Ausmaß verändern, so dass das Neue nicht mehr mit dem Alten zusammenpasst. „Entschleunigung“ ist daher nicht nur eine Forderung des individuellen oder gesellschaftlichen Zeit-Managements. Auch
Gaia steht unter Stress und droht ihre Menschen­freundlichkeit einzubüßen noch bevor ihre Ressourcen erschöpft sind: Die Eile, in der wir Menschen unsere Welt global „verbessern“, läßt dem Neuen immer weniger Zeit, sich zu bewähren. Bewährung ist aber das einzige zuverlässige Kriterium für die „Güte“ der Innovationen. Wird dieses Kriterium in globalem Ausmaß „übersprungen“, wie es in unserer Zeit offenbar geschieht, führt der weitere Fortschritt in ein Stadium zunehmender ökologischer und sozialer Instabilitäten, das Peter Kafka die Globale Beschleunigungs­krise nannte.

Ich glaube, dass die Lage der Menschheit auf ihrem Planeten eine kritische ist. Ich glaube aber nicht, dass diese Krise unausweichlich in einer globalen Katastrophe, in einem Untergang endet. Ich glaube, dass diese Krise auch viele Chancen eines wünschens­werten Wandels mit sich bringt. Ich glaube, dass es Wege gibt, diese Krise zu überwinden, und dass solche Wege wahrscheinlich auch beschritten werden, selbst wenn es gegenwärtig gar nicht danach aussieht und es zunehmend schwierig wird, den Mut zu bewahren. Ich sehe Gründe für Zuversicht. Und ich glaube an die Kraft der Kommunikation, des Bemühens um Verständigung.

Bei allem, was zu tun ist – wir müssen uns darüber verständigen. Wir müssen uns wenigstens über ein paar Leitlinien global einigen, und darüber muss – wenn es einiger­maßen demokratisch zugehen soll – nicht nur unter den „Mächtigen“ verhandelt werden, sondern auch in den kleinsten privaten Kreisen. Deshalb versuche ich immer wieder, Gespräche anzuzetteln – vor allem offline. Ich möchte meine Sorge mitteilen, meine Einschätzung der Lage mit anderen erörtern, Strategien entwickeln und Zuversicht begründen, ohne irgend etwas schönzureden. Und ohne aufdringlich zu werden.

Ich schreibe hier nicht als Experte für irgend etwas, sondern als einfacher Zeit­genosse, der wie so viele andere Zeit­genossinnen und Zeitgenossen unter den bedrückenden Gegenwarts­fragen leidet und gelegentlich selbst zu einem depressiven Zynismus neigt, sich aber bemüht, konstruktiv zu argumentieren. Selbst­verständlich verstehe ich sehr vieles nicht – wer hat schon alles verstanden? Ich schreibe hier nicht, um alles zu erklären. Ich fühle mich jedoch aufgefordert, mit meinem eigenen Nachdenken in einem Erkenntnis­prozess mitzuwirken, der höchst­wahrscheinlich von globaler Bedeutung ist. Was sich in unserer Zeit in den Köpfen und Gemütern der Menschen tut, ist wahrscheinlich in mancher Hinsicht ausschlag­gebend für die Lebens­verhältnisse kommender Zeiten. Ich schreibe und spreche als Beteiligter.

Beunruhigende Nachrichtenlage
Wie ich zu der Überzeugung komme, dass wir im Zeitalter einer globalen Krise leben

Mit meinem eigenen Leben könnte ich zufrieden sein. Ich wohne recht idyllisch in einer ländlichen ober­bayerischen Gegend, habe ein komfortables Dach überm Kopf und Bäume um mich, kann von meiner eigenen Arbeit leben, fühle mich geliebt und anerkannt, sozial abgesichert und in vieler Hinsicht frei. Was mich beunruhigt, ist die Nachrichten­lage: Es geht bei weitem nicht allen Menschen und Mitgeschöpfen auf diesem Planeten so gut wie mir. Offenbar ist weltweit ein erschreckend zerstörerischer Prozess im Gange, ein globaler hektischer Ausscheidungs­wettbewerb, der Gewinner und Verlierer hervorbringt und die Welt in gefährlich hoher Geschwindigkeit verändert.

Ich selbst gehöre zu den derzeitigen Gewinnern, obwohl ich mich persönlich nie aktiv an einem Wettbewerb um Lebens­grundlagen beteiligt habe. Ich bin ein passiver Nutznießer. Aber aus aller Welt treffen jetzt Nachrichten über Zerstörungen, Not und Elend, Ungerechtig­keiten, aggressive Auseinander­setzungen und bedenkliche ökologische Veränderungen bei mir ein – seit neuestem sogar Menschen aus anderen Ländern, die vor Not und Lebensgefahr fliehen mussten. Mein Verdacht:

(a) die zunehmenden regionalen Krisen sind in hohem Maße Folgen einer globalen Fehlentwicklung und – wie der meteorologische Klimawandel – nur in gemeinsamen, international-kooperativen Anstrengungen zu bewältigen;

(b) die globale Fehlentwicklung muss auch system­theoretisch verstanden werden, damit geeignete Lösungs­strategien gefunden werden können.

Das Kardinalsymptom: Die Wirklichkeit wird kompliziert

Mein Gesamteindruck: Die Wirkmächtigkeit, mit der wir Menschen jetzt in die irdische Evolution eingreifen, erzeugt weltweit mehr Probleme in unseren Gesellschaften und in unserem bislang menschen­freundlichen irdischen Biotop, als wir lösen können. Die Risiken und Neben­wirkungen unserer Verbesserungen und Problem­lösungen sind ungeahnt. Wir können – aus Gründen, die noch zu erörtern sind – nicht mehr darauf vertrauen, dass „Gras drüber wächst“, das heißt, dass die funktionierende Komplexität unserer irdischen Lebens­wirklichkeit all die sozialen und ökologischen Schäden, die wir anrichten, selbstheilend regeneriert. Das „Gras“ wächst nicht schnell genug, um mit unserem Fortschritt noch mithalten zu können. Die Geschwindigkeit, mit der wir Menschen derzeit ins „Anthropozän“ fortschreiten, bewirkt, dass die Komplexität der Wirklichkeit für uns als über­wältigende Kompliziertheit spürbar und existenziell bedrängend wird. Im Zeitalter der Globalisierung wird daraus eine globale Krise.

Übervölkerung und globale Beschleunigungskrise
Wie ich mir die Krise erkläre

Hier sollen zwei Ursachen betrachtet werden:
(1) die zunehmende globale Bevölkerungs­dichte – weil diese sehr häufig als die Ursache genannt wird;
(2) die zunehmende globale Innovations­geschwindigkeit – weil diese noch zu selten als Ursache genannt wird.

(1) Die zunehmende globale Bevölkerungsdichte

Die Zahl der Menschen im Biotop Erde ist groß und nimmt weiter zu – allein aus diesem Grund sind ökologische und soziale Krisen in globalem Ausmaß zu befürchten.

Die Ökosphäre der Erde verliert wahrscheinlich ihre Menschen­freundlichkeit, wenn wir ihre Quellen und ihre Senken über­beanspruchen, das heißt: wenn wir einerseits die nach­wachsenden und nicht-nach­wachsenden Ressourcen plündern, andrerseits mehr und mehr Abfälle, Abgase und Rückstände, die nicht oder nur langsam rezykliert werden, in die Umgebung entlassen.

Die menschlichen Gesellschaften kippen wahrscheinlich in barbarische, chaotische oder totalitäre Zustände, wenn unsere sozialen und kommunikativen Kompetenzen durch zu großen Dichtestress in zu großen Gesellschaften überlastet werden und der Wettbewerb um Lebens­grundlagen scheinbar immer zwingender und damit immer aggressiver wird.

Theoretisch könnte beides, Raubbau und Streit, weitgehend vermieden werden durch ein weltweites kooperatives Verhalten. Offensichtlich aber reichen unsere seelischen Kompetenzen für Kommunikation und Gemeinschafts­bildung (noch) nicht hin; ein belastbares „Wir“ braucht immer noch den persönlichen Kontakt und einen gemeinsamen Mythos. Die inter­kulturellen persönlichen Kontakte haben schon stark zugenommen, aber die neue Erzählung von der globalen Menschen­gemeinschaft klingt noch zu unglaublich.

Selbstverständlich kann unsere Zivilisation allein an Raubbau, Umwelt­zerstörung und Krieg scheitern. Aber es gibt ein fundamentaleres Problem:

(2) Die zunehmende globale Innovations­geschwindigkeit

Nehmen wir einmal an, wir hätten Raubbau und Krieg überwunden und würden nun in globaler Kooperation ökologisch nachhaltig wirtschaften und das Erwirtschaftete gerecht verteilen, so dass niemand mehr Not leiden muss. Es bliebe nur noch unsere Lust, die Welt weiter zu verbessern: unsere Lust auf „Fortschritt“.

Fortschritt: Die ganze Evolution des Lebens auf Erden ist ein stetiges, manchmal auch unstetiges Fortschreiten des Wandels, der eine unglaublich gut funktionierende Komplexität hervorgebracht hat. Wir sagen: Der Fortschritt hat „aufwärts“ geführt, und wir neigen zu der Ansicht, dass Fortschritt immer „aufwärts“ führt. Er kann aber auch „abwärts“ führen. Dazu braucht es nicht einmal Raubbau und Krieg.

„Aufwärts“ bedeutet: eine dauerhaft funktionierende Komplexität erreicht immer höhere Stufen. „Abwärts“ bedeutet: Die höheren Stufen der Komplexität brechen ein, der Fortschritt fällt auf niedrigere, primitivere Stufen zurück. Frage: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Fortschritt in so komplexen dynamischen Systemen wie unserer irdischen Biosphäre oder unseren menschlichen Kulturen „aufwärts“ führen kann?

Wenn ich davon ausgehe, dass das Werden unserer Welt als ein Prozess der Selbst­organisation beschrieben werden kann, als ein Fortschreiten der Wirklichkeit im Raum der Möglichkeiten, bei dem ständig Neues erscheint und bei dem aus all den gefundenen Möglichkeiten diejenigen ausgelesen werden, die sich bewähren, dann ergeben sich logischerweise zwei Grund­bedingungen: Vielfalt und Gemächlichkeit (ich übernehme diese beiden Schlagwörter von
Peter Kafka). Vielfalt bedeutet: Die Wirklichkeit muss an sehr vielen verschiedenen Stellen auf ganz unterschiedliche Weise experimentieren können, damit sie in der großen Menge der Neuerungen auch immer wieder auf die seltenen Besserungen stoßen kann. Gemächlichkeit bedeutet: Das Bessere („Aufwärts­führende“) kann nur gefunden werden, wenn es sich selbst als solches herausstellen kann, wenn es also genügend Zeit hat, sich als solches zu bewähren.

Die Auslese des sich bewährenden „Guten“ aus der Menge des „Neuen“ ist ein langwieriger Prozess. Die Zeitskala der „aufwärts“ führenden Evolution erstreckt sich über viele Generationen. Kurzfristig setzt sich aber meist etwas anderes durch: das Größere und das Schnellere. Das Größere (Mächtigere, Einfluss­reichere) und Schnellere (Findigere) hat gegenüber dem Kleineren und Langsameren manche „selektive Vorteile“, zumindest auf kurze Sicht. Auf dieser viel kürzeren Zeitskala haben wir Menschen uns als Spezies hervorgetan: Durch unsere Findigkeit und immer größere Gestaltungs­macht sind wir zu den „Anführern der Evolution“ geworden – aber eben nur auf dieser Zeitskala der Kurzfristigkeit. Der von uns in Gang gesetzte beschleunigte Fortschritt (die kulturelle oder geistige Evolution) gerät nun zunehmend in Widerspruch zur gemächlichen Evolution des Gesamt­gefüges „Gaia“, das nach wie vor unsere Lebens­grundlage, unser Wirts­organismus ist.

Wachstum und Beschleunigung verhindern jegliche Bewährung, wenn wir, die Menschen, unsere Welt innerhalb einer einzigen Generation global und in zunehmender Vereinheitlichung umgestalten. Mit dem Neuen kann keine Erhöhung der funktionierenden Komplexität mehr gewonnen werden. Was zunimmt, ist eine immer schlechter funktionierende Kompliziertheit. Es kommt zu einem „abwärts“ führenden Fortschritt: Wir werden überschwemmt mit Unbewährtem, wir erleben einen Verlust an zuverlässiger Ordnung. Wenn das, was gestern neu war, keine Zeit hatte, sich zu bewähren und auszureifen, kann es keine solide Grundlage bilden für das, was heute neu dazukommt. Das Neue passt mit dem Alten immer weniger auf lebensfähige Weise zusammen. Immer umfassendere Probleme entstehen immer schneller, unsere Problem­lösungs­versuche bleiben immer weiter zurück und erzeugen immer noch mehr neue Probleme. Dann multiplizieren und potenzieren sich die Fehler, die dem Unbewährten ja fast immer anhaften, gegenseitig – die Stabilität des Systems geht verloren, die Gefahr eines Misslingens wird sehr groß. Peter Kafka nannte dieses Stadium
globale Beschleunigungskrise.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es bedeutet keine Gefahr für die ganze Welt, wenn an vielen kleinen Stellen der großen Vielfalt etwas misslingt, denn dann kann aus den Fehlern gelernt werden. Lokal begrenztes Chaos durch unbewährte Innovationen ist ein sehr häufig vorkommendes Ereignis, das neue kreative Prozesse in Gang setzt, sofern Zeit für Regeneration bleibt. Eine hohe Innovationsgeschwindigkeit muss also nicht ins Chaos führen, wenn sie keine globale „Gleichschaltung“ bewirkt und nicht die Vielfalt kleiner, relativ unabhängiger Untereinheiten beseitigt. – Es bedeutet auch keine Gefahr für die ganze Welt, wenn eine bewährte Innovation sich in einem gemächlichen Verbreitungs­prozess immer aufs Neue bewährt und global durchsetzt. Auch die vereinheitlichende Globalisierung menschlicher Kultur­leistungen wäre wahrscheinlich kein Problem, wenn sie gemächlich vonstatten ginge im Laufe von Generationen; eine regionale Vielfalt in den Lebens­äußerungen dieser Kultur könnte teils erhalten bleiben, teils sich neu herausbilden. Das „Problem mit der Komplexität“ wird dann übermächtig, wenn die globale Innovations­geschwindigkeit eine kritische Grenze übersteigt, wenn wir unsere Welt also gleichzeitig schnell und im Großen verändern – was offenbar in unserer Zeit geschieht.

Wir setzen dabei nicht mehr nur uns selbst, unsere Seelen, unsere menschlichen Gemeinschaften unter Druck. Wir Menschen sind jetzt reich genug an Zahl, an Know-how und an Energie, um auch „Gaia“, unsere Mutter Erde, unter Stress zu bringen. Durch unsere eiligen „Verbesserungen“ und Problem­lösungs­versuche stören wir mehr und mehr die in Erdzeitaltern gewachsene, gut eingespielte, gut funktionierende Komplexität der ökologischen Regelkreise. Wir haben eine beschleunigte Evolution „auf eigene Rechnung“ in Gang gesetzt, die wie eine bösartige Neubildung in Gaias Organismus wirkt. Eine große und mächtige Kultur verdrängt alle kulturelle Vielfalt und bringt mit hoher Innovations­geschwindigkeit vor allem eine globale Vereinheitlichung des Lebensstils und des Umgangs mit unseren Lebens­grundlagen hervor. Technische und gesellschaftliche Experimente werden zu großtechnischen und welt­innen­politischen Versuchen mit unbekanntem Ausgang. Globalisierung in dieser Geschwindigkeit bedeutet: Wir beginnen, in „Einfalt“ und „Raserei“ mit dem ganzen Globus zu experimentieren. Wir setzen „Gaias“ Menschen­freundlichkeit aufs Spiel. Die Gewinn­chancen in diesem Spiel sind für uns Menschen gering. Wir sollten dieses Spiel schleunigst beenden.

Was WIR tun müssen und was ICH tun muss
Wie ich mir die Überwindung der globalen Krise vorstelle

Ganz allgemein: Der Wettbewerb um Lebens­grundlagen muss aufhören und ersetzt werden durch eine gemeinschaftliche Sicherung unserer Lebens­grundlagen. Das weitere Bevölkerungs­wachstum muss gestoppt werden. Die Fortschritts­kriterien Vielfalt und Gemächlichkeit müssen gesichert werden. – Illusorisch?

Was WIR zu tun haben

„WIR“ – das sollte eine globale Solidar­gemeinschaft sein, die noch gar nicht existiert, höchstens in Ansätzen. Es wird uns jedoch nichts anderes übrig bleiben, als sie weitgehend zu verwirklichen. Wir können unsere Zivilisation nur in globaler Kooperation – also gemeinsam – retten. Wir müssen uns auf bestimmte welt­innen­politische Leitplanken einigen, die geeignet sind, eine lebendige Vielfalt auch in der menschlichen Kultur zu sichern und allzu rasante globale Veränderungen („globalisierte Machenschaften“) zu vermeiden. Es muss dafür gesorgt werden,

(a) dass sich nicht zu viel ökonomische oder politische Macht in den Händen einzelner Menschen ansammelt – durch Dezentralisierung und Regionalisierung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kompetenzen, soweit möglich (übergeordnete und globale Instanzen nur, soweit unvermeidlich); durch demokratische Regelwerke, die die Macht, die sich bei einzelnen »Mitspielern« ansammelt, begrenzt, vor allem durch Größen­begrenzungs­steuern, die dafür sorgen, dass die Vergrößerung von Unternehmen und Privat­eigentum ab einem bestimmten Maß unrentabel wird;

(b) dass das Bewusstsein für das Wesen der Krise in den Köpfen vieler Menschen zunimmt und die Motivation, den eigenen »ökologischen Fußabdruck« in allen Bereichen zu senken, durch geeignete Anreize gesteigert wird – durch Entropie­steuern (ökologisch ausgerichtete Konsumsteuern) und andere Regelungen, durch die Umweltbelastung (oder schon das deutliche Risiko einer solchen) als Kostenfaktor in unseren Produktions- und Konsum­gewohnheiten spürbar wird und die einen Anreiz bieten, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Entropie- und Größen­begrenzungs­steuern könnten möglicherweise alle anderen Steuern ersetzen.

Was ICH zu tun habe

— ICH erkenne mich als beteiligt und als politisches Wirkungs­quantum: Auch auf meinen kleinen Beitrag kommt es an. Auch ICH habe mich zu fragen, was ICH in die Wirklichkeit einflechte und was ICH einflechten will. ICH besinne mich auf meinen politischen Eigenwillen. ICH bin keine Marionette. ICH weiß, dass ICH an sehr vielen Fäden hänge! Aber: ICH werde nicht nur von den Fäden gezogen – ICH ziehe auch selbst daran!

— ICH widersage den Argumenten der Ergebenheit: „Es kommt wie es kommt, da kann man nichts machen…“; „Das Spiel wird von den Mächtigen gespielt…“; „So ist der Mensch, und so wird er bleiben…“ – Argumente solcher Art sind häufig von der Bequemlichkeit diktiert. Wenn Unannehmlich­keiten spürbar werden und am eigenen Wohlergehen rütteln, heißt es plötzlich: „Da muss unbedingt etwas gemacht werden!“

— ICH kultiviere meinen Zorn. ICH verwandle meine Depression in Zorn und den Zorn in konstruktive Tatkraft: Neben der depressiven Reaktion auf all die schlechten Nachrichten aus aller Welt gibt es auch die aggressive, insbesondere dann, wenn es in der eigenen Umgebung ungemütlich wird oder ungerecht zugeht. ICH verspüre Ärger, Wut, Zorn, Angriffslust. ICH verstehe plötzlich, was „Terroristen“ zu ihrem Handeln treibt. ICH möchte nicht zum Terroristen werden. ICH kann die Energie, die in diesen Emotionen steckt, auch konstruktiv nutzen.

— ICH erlaube mir, einer Vision von einem gemeinschaftlichen guten Leben auf Erden zu folgen: Das Ideal mag in weiter Ferne liegen und vielleicht nicht endgültig erreichbar sein. Aber die Vision weist mir die Richtung, in der ICH unterwegs sein möchte, sie motiviert mich von innen heraus. Sie weist mir die Richtung, die ICH „aufrecht“ gehen kann. Sie schickt mich auf meinen „Weg mit Herz“. Sie ist meine Antwort auf die Frage nach meinem politischen Eigenwillen: Was willst du? – Der Weg ist weit und wartet mit desillusionie­renden Hindernissen auf. Ohne pragmatischen Realismus würde ICH scheitern. Aber ohne eine Vision würde ICH mich nicht immer wieder aufraffen. ICH würde wahrscheinlich resignieren. Daher erlaube ICH mir, meiner gewachsenen und gepflegten Vision zu folgen. Sie belebt mich. Es wird sich zeigen, wie viel Belastung sie aushält und wie weit ICH mit ihr komme.

— ICH überprüfe meine eigenen Gewohnheiten: Fast immer beantworte ICH die Frage
Was soll ICH oder will ICH tun? mit einer Gewohnheit. Auch der Eigenwille ist ein überwiegend „ergebener“ Teil eines komplexen dynamischen Systems eingespielter Regelkreise, das darauf angewiesen ist, sich selbst neu einzuspielen, wenn die alten Gewohnheiten sich als nicht zukunftsfähig erweisen. Mein politischer Eigenwille äußert sich also auch darin, dass ICH meine Gewohnheiten darauf hin überprüfe, wie gut sie mit meiner Vision von einem gemeinschaftlichen guten Leben auf Erden zusammenpassen.

— ICH verbünde mich mit Gleichgesinnten: Das häufig vorgebrachte (bequeme) Argument, dass ICH als Einzelne/r machtlos sei, ist schnell widerlegt: Dann schließe ICH mich eben einer Vereinigung an, einer Partei oder einer der immer zahlreicher und aktiver werdenden „Nichtregierungs­organisationen“, die eine konstruktive Gegenbewegung, wie ICH sie für wünschenswert halte, organisieren. Damit gehe ICH über die Veränderung meiner privaten Gepflogenheiten hinaus und beteilige mich an der Veränderung der kollektiv organisierten schlechten Gewohnheiten, an der Überwindung von pervertierten Strukturen und Pseudo-Sachzwängen in Politik und Wirtschaft, an der Erneuerung der Leitlinien des Zusammen­lebens in der Gemeinde, in der Region, im Staat und auf dem ganzen Planeten. Selbst wenn ICH nur „Fördermitglied“ bin, also regelmäßig einen kleinen Geldbetrag beisteuere, geht damit eine Wirkung von mir aus.

— ICH würdige die Nicht-Gleichgesinnten: ICH bemühe mich um einen konstruktiven Diskurs (siehe unten).

Krise heißt Entscheidung
Woher ich meine Zuversicht nehme

Ich habe begründet, weshalb ich die globale Lage der Menschheit für eine kritische halte. Krise bedeutet, dass die Entwicklung einen Punkt erreicht, von dem aus sie in unterschiedliche Richtungen kippen kann: in unerwünschte („Scheitern“) oder in wünschenswerte („Weiterkommen“). Die verschiedenen Möglichkeiten liegen sehr nahe beieinander, der Ausgang der Krise kann deshalb nicht vorausgesagt werden. Nicht einmal Wahrscheinlich­keiten für unterschiedliche Szenarien können in der Krise „realistisch“ eingeschätzt werden, denn eine Krise bringt überraschend schnell überraschend neue Realitäten hervor, die alle angestellten Berechnungen zunichte machen. Die Krisensituation der menschlichen Zivilisation stellt sich allerdings so komplex bzw. kompliziert dar, dass eine wünschenswerte Lösung für viele sehr realistisch urteilende Menschen nicht mehr vorstellbar ist. Wie kann ich ihnen gegenüber noch Zuversicht begründen?

Unsere Vorstellungen sind begrenzt
Unsere Vorstellungen von den Möglichkeiten – sowohl des Scheiterns als auch des Weiterkommens – sind sehr begrenzt. Scheinbare Möglichkeiten des Weiterkommens können sich als sehr gefährlich erweisen oder als Sackgassen, die zum Umkehren nötigen. Andrerseits kann mir eine Situationen nur deshalb ausweglos erscheinen, weil ich die weiterführenden Möglichkeiten erst dann entdecken kann, wenn ich ihnen nahe genug gekommen bin. Wir sollten uns die globale Lage der Menschheit nicht als Sackgasse in einem Labyrinth aus steinernen Mauern verbildlichen. Wir bewegen uns in einem sehr komplexen, dynamischen, lebendigen System, in dem Mauern aus Stein und Beton wenig ausrichten – die am meisten verhärteten, unflexiblen Strukturen, die uns die globale Lage der Menschheit als aussichtslos erscheinen lassen, sind möglicherweise die Vorstellungen in unseren Köpfen. Wir sollten gerade in der Krise damit rechnen, dass sich sehr unerwartet neue Perspektiven öffnen, mit denen niemand rechnen konnte.

Große Veränderungen bahnen sich im Kleinen an
In einem komplexen dynamischen System entstehen große Veränderungen oft aus unscheinbaren Keimen, aus kleinen Ansätzen im „richtigen Moment“ (zeitlich und örtlich); das „richtig“ kann dabei nicht voraus­berechnet werden, es kann sich nur in einer großen Vielfalt von Versuchen zeigen, es fällt uns gewissermaßen zu. Unsere Welt ist kein titanisches, schweres Schiff, das seinen unheilvollen Kurs nicht mehr schnell genug ändern kann, weil es der Gefahr schon zu nahe ist und es keine Kraft mehr gibt, die groß genug wäre, um die träge Masse in eine andere Richtung zu lenken. Wir erschrecken vor Gefahren, die bedrohlich in Sichtweite kommen und Unannehmlichkeiten so wahrscheinlich werden lassen, dass sie uns als unvermeidlich erscheinen. Doch die Welt ist ein komplexes Geschehen, und das ist nicht mit einer trägen Masse zu vergleichen. Schon das Erschrecken bewirkt etwas.

Die Krise eröffnet neue Freiheitsgrade
Die Krise konfrontiert uns mit Möglichkeiten des Absturzes, die erschreckend wahrscheinlich werden. Der Schrecken und die emotionale Aufruhr korrodieren unsere Denkzwänge und Gewohnheiten. Der Absturz selbst ist wahrscheinlich kein einmaliges Ereignis, das alles zerstört; die globale Beschleunigungs­krise zeigt sich in einer Vielfalt von Krisen­erscheinungen, die immer mehr Menschen in Mitleidenschaft ziehen und Schmerzen verursachen. Schmerzliche, kritische Situationen drängen uns nicht selten dazu, Denk- und Handlungs­möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die wir bis dahin gemieden, geschmäht, verboten oder gar nicht gesehen haben. Somit eröffnet die Krise neue Freiheitsgrade – zunächst im Denken. Die Not lehrt uns, alte Ideen loszulassen, wenn sie sich als obsolet erweisen, und „bessere Ideen“ ernsthaft in Erwägung zu ziehen. „Ernsthaft“ bedeutet, dass sie sich aufs Handeln auswirken.

Die Komplexität verhindert „Zementierung“
Viele „reale Verhältnisse“, insbesondere Macht­verhältnisse in der globalen Menschen­gesellschaft, erscheinen uns „zementiert“. Doch die Härte des „Zements“ täuscht. Wir wissen, dass sich in den Ritzen kompakter und scheinbar lebloser Massen fruchtbarer Staub fängt und allmählich sich auch wieder Pflanzen ansiedeln. Wir wissen, dass die Witterung im Lauf der Zeit Asphaltdecken erodiert und zarten Gewächsen zum Durchbruch verhilft. Wahrscheinlich muss sich nicht erst ein Erdbeben ereignen, um die verhärteten Strukturen in unseren Köpfen und Gesellschaften aufzubrechen. Wahrscheinlich setzt das Beben der Menschen­gesellschaft in erträglichen Schüben genügend erodierende Kräfte frei. Diese Hoffnung beruht auf der Gewissheit, dass die eigentliche Weltordnung sehr komplex ist und sich selbst auf kaum vorhersehbare Weise immer wieder neu organisiert – auch durch das ebenso komplexe Geschehen in den Köpfen der Menschen. Die dafür nötigen Freiheitsgrade entstehen ständig aufs Neue durch unvorhersehbare Ereignisse, durch die eingespielte Regelkreise immer wieder infrage gestellt werden. Um diese Tendenz komplexer dynamischer Systeme zur heilsamen Selbst­organisation zu unterdrücken, die Strukturen „hart“ und alle Freiheitsgrade unter Kontrolle zu halten, muss eine künstliche Ordnungsmacht enorm viel Energie aufwenden. Im Zeitalter der globalen Krise wird dies immer schwieriger.

Konstruktive Prozesse sind vielerorts bereits am Werk
Zahllose Initiativen sind weltweit entstanden und weiter am Entstehen, die an der Verwirklichung sogenannter Utopien arbeiten, indem sie „bessere Ideen“ aufgreifen und pionierhaft erproben. Diese Initiativen wirken zunehmend vernetzt, also sich gegenseitig verstärkend, und ihre Lernprozesse wirken sich mehr und mehr auf den kulturellen und politischen Mainstream aus.

Die Lernfähigkeit der Menschen ist groß
– andernfalls wären sie nicht so erfolgreich gewesen. Es sind hauptsächlich die Großhirn­fähigkeiten des Menschen, die ihn so erfolgreich werden ließen, dass er sogar die Resilienz des globalen Ökosystems bedroht. Wenn das Lernpotenzial der Menschheit ihrer Fähigkeit, Entropie zu erzeugen, entspricht, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Rande der eigenen Vernichtung bessere Ideen nicht nur gefunden, sondern auch verwirklicht werden können.

Der Gemeinschaftssinn der Menschen ist groß
Soziales Verhalten ist tief in uns verankert. Wir Menschen sind gemeinschafts­hungrig, wir möchten uns zusammen­gehörig fühlen. Das zeigt sich an den vielen gemeinschaftlichen Aktivitäten und Traditionen, an unserem „Herdenverhalten“ und – in „verdrehter“ Form – auch an chauvinistischen, faschistischen und rassistischen Entgleisungen dieser Veranlagung, bei denen das Bedürfnis nach Abgrenzung pervertiert. Doch der organische Zusammenhang zwischen Einheit (Gemeinschaft) und Vielfalt (von Untereinheiten) wird von immer mehr Menschen erkannt.

Sogar Visionen sind wirksam
– weil sich das Denken sehr stark auf das Handeln auswirkt. Es ist nicht nur das Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein prägt; das Bewusstsein kann neben den Umständen des Seins auch Möglichkeiten erwägen und wirkt damit verändernd auf das Sein zurück. Insbesondere wenn das Sein in eine kritische Instabilität gerät, können die Bewegungen des Bewusstseins im Denken ausschlaggebend werden. In dieser Situation ist es also von Bedeutung, bessere Ideen wenigstens zu denken, auch wenn sie noch utopisch erscheinen. Aus dem Denken entsteht Handeln. Auch der Zusammenhang zwischen Kopf, Herz, Bauch und Hand ist ein komplexer!

Die „öffentliche Meinung“ ist ein schwingendes System
Der geistige Mainstream, der vorherrschende „Zeitgeist“, ist ein komplexes dynamisches und daher sehr wandlungsfähiges System. Was heute noch „undenkbar“ erscheint, ist morgen plötzlich in allen Köpfen. Die Einsicht, die ich mir selbst zutraue, darf ich auch anderen zutrauen; das, was ich als „meine“ Einsicht erfahre, besteht überwiegend aus Gedanken, die ich von anderen übernommen habe. „Einsicht“ ist etwas Diffundierendes und Ansteckendes. Es ist daher möglich, dass eine entscheidende Mehrheit der Menschen – auch in den noch wohlhabenden bürgerlichen Demokratien! – über die Absurdität der Systemzwänge des business as usual so weit aufgeklärt und so politisch aktiv wird, dass die Macht der Besitzenden überwunden und die Rahmen­bedingungen der Wirtschaft auf dem friedlichen Wege politischer Mehrheits­entscheidung geändert werden können.

Fazit
Die beängstigende Macht der Umstände beginnt im Zeitalter der globalen Beschleunigungs­krise zu bröckeln. Die Macht der Gewohnheiten oder der totalitären Ordnung wird durch zunehmend chaotische Ereignissen destabilisiert. Auch hier können schon kleine Einflüsse neue Entwicklungs­richtungen bewirken und Sach- oder andere Zwänge aufsprengen. Veränderungen der Gleichgewichts­lagen werden wahrscheinlich. Mit dem Bröckeln der alten Strukturen nimmt auch die Hektik der Ausbesserungs­arbeiten zu. Vermutlich werden noch einige der alten Gebäude – der alten Hierarchien und Weltbilder – einstürzen müssen, bevor die notwendige Sanierung der Fundamente in die Wege geleitet werden kann. Es ist jedoch gar nicht so unwahrscheinlich, dass das zu befürchtende Chaos der Menschen­gesellschaft die schlimmsten Manipulations- und Ausbeutungs­systeme zusammen­brechen lässt, bevor Gaias Menschen­freundlichkeit restlos überlastet ist.

Alarmismus? Naivität?
Andere Einschätzungen, denen ich häufig begegne

Kann man heute noch zuversichtlich sein, wenn man realistisch bleiben möchte? – Das ist die Frage, die mich umtreibt. Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich davon ab, was ich unter „realistisch“ verstehe. Die globale Lage der Menschheit wird von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich eingeschätzt, aber wen immer ich frage, wie er oder sie zu der jeweiligen eigenen Einschätzung gelangt – ich werde die Antwort erhalten: durch eine realistische Betrachtung der Verhältnisse.

Jede und jeder hält die eigene Sicht der Wirklichkeit für wahr, aber es kommen ganz unterschiedliche Ansichten dabei heraus.

Die folgenden Einschätzungen kann ich nicht teilen, sie passen mit meiner Sicht der Wirklichkeit nicht gut zusammen. Aber ich interessiere mich für die darin zum Ausdruck kommenden Lebens­erfahrungen und Weltanschauungen.

Zynische Gelassenheit
Der Natur ist es egal, ob die Menschheit sich selbst aus der Evolution katapultiert oder nicht, wird mir immer wieder mal gesagt. Das mag stimmen. In der Diskussion über die globale Lage der Menschheit erscheint mir diese Aussage aber nicht hilfreich. Sie klingt sehr unbeteiligt, so, als könnte es uns Menschen ebenso egal sein wie der Natur. Das „Hinaus­katapultiert­werden“ könnte sich aber als ein ausgesprochen unangenehmes Geschehen erweisen, an dem wir nicht nur als Zuschauer beteiligt sind. Viele Landsleute in meinem schon etwas fort­geschrittenen Alter trösten sich mit der Hoffnung, selbst nicht mehr betroffen zu sein. Und die Kinder und Kindes­kinder? Die müssen für sich selbst sorgen. Hier geht die Zuschauer­haltung in Verantwortungs­losigkeit und Zynismus über.

Anti-Alarmismus
Dieser Einschätzung nach sind die Warnungen vor der globalen Krise, wie ich sie hier vertrete, übertrieben und daher als „Alarmismus“ zu bezeichnen. „Weltuntergangs­stimmungen“ traten und treten in der Menschheits­geschichte immer wieder auf, aber ebenso wie früher sind sie auch heute nicht real und nicht rational begründbar, sondern nur psychologisch zu erklären. Die „globale Krise“ ist gar keine wirkliche Krise, zumindest keine existenziell bedrohliche. Der Einfluss menschlicher Unternehmungen und Machenschaften auf die Ordnung der Natur ist vernachlässigbar gering. Die Schöpfung ist zu groß, als dass der Mensch allzu großen Schaden anrichten könnte. – In dieser Auffassung kommt vermutlich eine tief sitzende Erfahrung zum Ausdruck: Der Mensch war als Einzelner, als Gruppe, sogar als Stamm und als Volk immer klein gegenüber der „großen, weiten Welt“, immer war er den Naturgewalten ausgesetzt, und über die örtlichen Verwüstungen, die der Mensch selbst angerichtet hat, ist immer wieder Gras gewachsen. Dass er nun in der Lage sein soll, mehr Schaden anzurichten als jemals zuvor, ist leicht zu erklären, aber schwer zu glauben.

Fatalismus
Dieser Einschätzung nach sind die globalen ökologischen und sozialen Probleme überaus real und nicht mehr zu bewältigen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Wer noch daran glaubt, dass der Mensch oder die Verhältnisse sich zum Besseren wenden könnten, ist unrealistisch. Vorherrschend ist hier ein persönliches, aber verallgemeinertes Ohnmachts­gefühl: Da kann man nichts machen. Dieser Spruch entstammt vermutlich der „nüchtern-realistischen“ Vorstellung, dass so große Veränderungen des Mainstreams und der Macht­verhältnisse, wie sie jetzt nötig wären, nur durch ebenso große und mächtige Maßnahmen bewirkt werden können, während so kleine Einflüsse, wie sie vom Einzelnen ausgehen können, wirkungslos bleiben. Er eignet sich aber auch gut als Ausrede für die eigene Bequemlichkeit. „Der Mensch ist eine Sackgasse der Evolution“ – mit diesem Schluss verharrt der Resignierte, solange es ihm persönlich noch leidlich gut geht, in der Beobachter­position. Sollte die Not an die eigene Haustür klopfen, wird der Spruch sich möglicher­weise umgehend verwandeln: So geht‘s nicht weiter! Da muss unbedingt was getan werden!

Technikgläubigkeit
Dieser Einschätzung nach stehen wir tatsächlich vor nie da gewesenen Heraus­forderungen, doch alle auftretenden Probleme werden durch beschleunigten technischen Fortschritt gelöst. Es mag sein, dass die Zahl der Probleme zunimmt, aber der technische Fortschritt findet immer noch schneller Lösungen. – Einen technischen Fortschritts­glauben dieser Art kann ich nicht teilen. Der technische Fortschritt erzeugt immer schneller immer kurzsichtigere Schein­lösungen, die auch noch immer schneller globalisiert werden. Der Rattenschwanz der ungelösten Probleme wird wahrscheinlich immer länger. Zweifellos werden wir viele Probleme auch „technisch“ lösen müssen, doch die Technik muss in eine andere Richtung fortschreiten: Sie muss sich dem Diktat einer fehlgeleiteten Ökonomie entziehen und sich der Ökologie unterordnen.

Ökonomismus oder Markt-Fundamentalismus
Dieser Einschätzung nach müssen wir uns gesunde Ökosysteme ebenso wie einen „Sozialstaat“ erst einmal leisten können. Die globalen ökologischen und sozialen Probleme werden unter rein ökonomischen Aspekten abgehandelt. Umweltschutz wird überwiegend als kostenintensive technische Heraus­forderung betrachtet und – ebenso wie alle „Sozialleistungen“ – ausschließlich unter dem Aspekt der Bezahlbarkeit gesehen: Die nötigen Mittel müssen innerhalb der bestehenden Marktwirtschaft aufgebracht werden. Das geht nur, wenn der Fortschritt der technischen Machbarkeit weiter beschleunigt wird und die Wirtschaft wächst. Das bestehende Wirtschafts­system wird als alternativlos angesehen. Grund­bedingung für einen wünschens­werten Fortschritt ist die Wettbewerbs­fähigkeit. Wesentlich für den sozialen Frieden ist, dass es genügend Arbeitsplätze gibt. Forderungen, die darüber hinausgehen, sind romantischer Art. Auch so was wie „Umweltschutz“ darf auf keinen Fall die Wettbewerbs­verhältnisse verzerren. Ökologische Bedenken sind zweitrangig. – Auch diese Sichtweise kann ich nicht teilen. Eine gute Ökonomie ist für mich eine Gemeinwohl-Ökonomie. Der Zwang zum Wirtschafts­wachstum ist ein system­bedingtes Problem unserer Wirtschaftsweise und unseres Geldsystems. Der notwendige Fortschritt muss unter anderem genau diesen Zwang beseitigen. Dann werden neue Freiheitsgrade und Alternativen zum bestehenden Wirtschafts­system sichtbar.

Mythischer Determinismus
Dieser Einschätzung nach steht die Entwicklung auf Erden unter dem ausschlag­gebenden Einfluss höherer geistiger oder kosmischer Mächte, von denen „eingeweihte“ Menschen zu erzählen wissen. Die Erzählungen vom Werden der Welt und vom Sinn des Lebens entstammen einem älteren Erfahrungs­hintergrund, werden in geheiligter Überlieferung erhalten und in Offenbarungs­erlebnissen einfühlsamer Menschen immer wieder erneuert. Von Christen wird heute noch gesagt: Der Mensch versündigt sich zunehmend gegen den Willen Gottes und vermehrt dadurch das Übel in der Welt. Ohne Gottes Hilfe ist er verloren. Aber Gott wird nicht zulassen, dass seine Schöpfung dem Bösen anheimfällt; eines Tages wird er eingreifen und die Verhältnisse neu und gerecht ordnen. – Ich achte die Erzählungen unserer Altvorderen und erkenne in ihren bildhaften Darstellungen manch „tiefe“ Wahrheit. Aber die neuen Erfahrungen der Menschheit, ihr verändertes Bewusstsein, ihre veränderte Sprache erfordern neue „Übersetzungen“ der alten Erzählungen, und sie bringen auch neue Erzählungen mit sich. Die Bilder der christlichen „Heilsgeschichte“ und auch ihrer Apokalyptik berühren mich. Doch die alten Erzählungen dokumentieren vor allem die Herrschafts­verhältnisse der alten Gesellschaften, die Hierarchien, die sich in den Erfahrungen oder Absichten der alten Autoren spiegeln. Gerne überliefert werden auch wohldefinierte Systeme zyklischer Zeitperioden und Zeitalter, aus denen dann Wesentliches über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abgeleitet wird. Der Stand der Sonne, des Mondes, der Planeten in den Sternbildern bietet sich als Takt- und Sinngeber an. Auch kosmische Strahlungs­einflüsse, zum Beispiel aus dem Zentrum der Milchstraße, werden in determinierender Weise kalkuliert. Ich habe nichts gegen die Annahme „höherer“ Mächte und gehe davon aus, dass das Geschehen auf Erden auch kosmischen Einflüssen unterliegt. Ich glaube aber nicht, dass diese Mächte und Einflüsse einen „Willen“ zeigen oder in einer leicht durchschaubaren Regelmäßigkeit wirken.

Ich würdige die Nicht-Gleichgesinnten
Wie ich mich um einen konstruktiven Diskurs bemühe

Das krieg ich immer wieder zu hören: dass zu viel geredet und zu wenig gehandelt wird. Als ob bereits alles verstanden wäre und es nur noch aufs „Umsetzen“ ankäme. Selbst­verständlich kommt es auf das Handeln an, auf das pionierhafte Vorangehen im Tun, im Ausprobieren und Sammeln praktischer Erfahrungen. Aber es muss doch von vielfachem Austausch und Reflexion begleitet werden, um nicht nur ein gedankenloses „Machen“ zu sein. Ich möchte zum Miteinander-reden ermutigen.

Reden wir über die großen Probleme mit jenem konstruktivem Eifer, der zum engagierten Handeln ermutigt. Begnügen wir uns nicht damit, das Handeln von anderen zu fordern, von den Politikern oder den Mächtigen.

Reden wir über unsere unterschiedlichen Ansichten von „Realität“. Die Wirklichkeit ist überaus komplex. Was bedeutet das für uns? Reden wir darüber.

Es geht auch um Demokratie. Demokratie heißt nicht, dass die Mehrheit recht hat. Demokratie heißt, dass jede und jeder von uns seine Stimme erheben kann und jede Stimme zählt. Demokratie heißt, dass wir uns immer wieder um Konsens bemühen. Demokratie heißt, dass wir ständig Informationen und Argumente austauschen, uns gegenseitig zur Meinungs­bildung herausfordern und die verschiedenen Meinungen miteinander abklopfen: über die Beurteilung der Lage, über gangbare Wege.

Schon im Reden den Zuschauerraum verlassen

Schon das Anzetteln einer konstruktiven Diskussion ist ein wirksames Handeln. Schon damit beginnt eine konstruktive Politik. Konstruktiv bedeutet: aufbauend, entwickelnd, positiv. Politisch bedeutet es: Die eigene Mitverantwortung wahrnehmen und unser Zusammen­leben mitgestalten.

Fronten aufweichen

Ich übe mich in der „Weichheit“ der Kommunikation, die einen aufrichtigen und würdigen Austausch auf gleicher Augenhöhe ermöglicht. Sie erfordert freilich genügend eigenes Rückgrat, um „aufrecht“ bleiben zu können. Konkret heißt das für mich: Ich suche das „politische“ Gespräch in meiner Umgebung, live und persönlich, auch mit Nicht-Gleichgesinnten;

— ich höre zu und begebe mich in die geistige Welt des Gesprächspartners;
— ich unterstütze ihn sogar darin, seine Sicht der Lage plausibel darzustellen;
— ich stelle Fragen und lasse den anderen antworten, bevor ich selber Antworten gebe;
— ich formuliere Fragen, die uns verbinden, weil sie uns gleichermaßen interessieren;
— ich benenne die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede in unseren jeweiligen Antworten oder
— bestimme ihre jeweiligen Geltungsbereiche;
— ich würdige die dabei sich zeigenden Emotionen, Stimmungen und Gemütslagen, und
— ich begründe meine Zuversicht.

Sich sammeln
Wie ich meinen Mut bewahre

Diese Seiten sind voller Theorie und voller Anspruch, dem ich selbst oft nicht genüge. Manchmal bin ich selbst deprimiert, weil so wenig „vorwärts“ geht. Ja, auch ich fühle mich oft müde und ohnmächtig und zur Genüge damit beschäftigt, den eigenen Stress zu bewältigen. Auch darüber möchte ich mich austauschen: wie wir uns bei zunehmendem Stress gegenseitig stärken und motivieren können. Teilen wir unsere Erfahrungen, die bedrückenden und die ermutigenden, indem wir drüber reden! Bestärken wir uns gegenseitig in dem Wollen, wirksame Bestandteile einer vielfältigen, lebendigen, liebevollen gesellschaftlichen Bewegung zu sein.

Kontemplation

Das brauche ich immer wieder: Die eigene Sammlung in ruhiger Zurück­gezogenheit. Ich nenne es für mich: Kontemplation – ich begebe mich in einen „abgegrenzten Bezirk“. Zur Entspannung, zum Nichtstun, zur Langeweile, zur Beschaulichkeit. Gelegentlich auch, um mich ungestört und bewusst selbst zu bemitleiden (wodurch sich, wie ich erfahren habe, mein Selbstbedauern ziemlich schnell selbst erledigt).

Zur Kontemplation muss ich nicht unbedingt allein sein. Es geht auch gemeinsam.

Sich im Kreis versammeln

Am hilfreichsten ist für mich der Austausch im Kreise vertrauter Menschen, mit denen ich über Emotionen ebenso reden kann wie über allgemeine oder spezielle Ansichten. Es müssen nicht unbedingt alte Bekannte sein. Wichtig ist eine Begegnung unter Wohlwollen und geistiger Sammlung. Ausschlaggebend ist die Regel, dass immer nur eine Person spricht, während alle anderen zuhören. So erlebe ich das Wir.

Je mehr mich das Chaos beutelt, desto sehnsüchtiger schaue ich nach einem größeren Wir aus, und desto bereiter bin ich, selbst bei der Geburt eines Wir mitzuhelfen. Und ich bin sicher nicht der einzige, dem es so geht. Ich sehe mich umgeben von anderen Ichs, die sich ehrlich um alle möglichen Formen von Gemeinschaft bemühen und neue Regeln üben. Ich glaube es ist schon im Entstehen, das globale Wir, aber es muss noch heranreifen und geboren werden, und es ist noch nicht gesagt, ob es gesund zur Welt kommen kann. Es ist in einem chaotischen Zustand, und das einzige, was ich tun kann, ist: üben, wo‘s geht.

Deshalb sehne ich mich nach solchen Kreisen, in denen das bewusstere Wir geübt wird, wenigstens im Kleinformat, dafür aber ganz praktisch.

Das globale Wir kann nicht im versammelten Kreis verwirklicht werden, dazu ist es zu groß. Das globale Wir kann ich mir nur als Bewusstseins-Hintergrund eines „Netzwerks“ vorstellen. Doch das Netzwerk besteht aus lauter kleineren und größeren Kreisen, in denen ein paar alte Verhaltens­gewohnheiten durch eine neue Art von „Höflichkeit“ ersetzt werden. Die Grundregel des Kreises, dass immer nur eine Person spricht und alle anderen zuhören, ist eine starke Heraus­forderung meiner Bewusstheit und meiner Teilnahme.

Dieser Grundregel des Kreises kommt in den meisten Gesprächs­runden, die ich miterlebe, kein hoher Stellenwert zu. Bei „lockeren“ geselligen Anlässen ist sie, wie mir scheint, geradezu kontraindiziert. Wo wird sie bislang eigentlich angewandt? Hauptsächlich bei „gezwungenen“ Anlässen, bei denen irgend eine Autorität das Wort „führt“: In der Schule, bei Vorträgen, bei moderierten Diskussionen. In einer geselligen Runde möchte man sich dagegen „ungezwungen“ unterhalten, „frei“ von aufgesetzten Regeln.

Dass man seinem Gesprächs­partner aufmerksam zuhört und ihn ausreden lässt, habe auch ich als eine Regel der Höflichkeit gelernt und weitgehend verinnerlicht. Ohne bewusste Achtsamkeit scheint diese Regel aber nur in kleinsten Gesprächs­gruppen von 2-3 Personen zur Geltung zu kommen; in größeren Gruppen wird sie von anderen „Gewohnheiten“ überlagert. Je größer der Kreis der Gesprächs­teilnehmer wird, desto mehr „höfliche Zurückhaltung“ und Aufmerksamkeit ist erforderlich, damit jede und jeder zu Wort kommt; desto leichter zerfällt er in kleine Untergruppen. Schon bei vier Teilnehmern reicht die gewohnheits­mäßige Disziplin oft nicht mehr aus und es entstehen zwei Zweier-Gespräche. Bei größeren Runden ohne Gesprächsleitung ist fast immer ein stetig variierender (und auf seine Weise reizvoller) Prozess der Grüppchen­bildung im Gange. Die gewohnten „Spielregeln“ des Miteinander­redens scheinen nicht dafür geeignet, einen größeren Kreis zusammen­zuhalten. Sie scheinen immer wieder zur einfachsten Spielvariante zurückzu­führen: zum Zwiegespräch.

Wo die Grundregel des Kreises nicht zur Gewohnheit geworden ist, erfordert sie eine bewusste Achtsamkeit, die ich leicht erst mal als stressige Disziplinierung empfinde. Wohltuend und bereichernd fühlt sie sich nur in einem Kreis an, in dem sie schon „eingespielt“ ist, in dem also das „spielerische Element“ im Austausch wieder spürbar ist.

Dann kann es auch mal turbulent zugehen, z.B. nach einem witzigen oder emotions­geladenen Einwurf. Für einen kurzen Moment zerfällt der Kreis in lauter lachende oder aufgeregte Grüppchen. Und doch finden die Grüppchen wieder in den Kreis zurück: Irgend jemand erhebt seine Stimme und wird wieder von allen gehört. Kein Grüppchen hängt sich mehr ab, die größere Runde ist „irgendwie“ interessanter geworden. Ich fühle mich nicht mehr gestresst. Ich bin einfach mit dabei. Ich empfinde eine Gemeinschaft, ein Wir. Je öfter ich dies erlebe, desto stärker vermisse ich es bei Gesellschaften, die dieses Spiel nicht kennen.

Ich betone das „spielerische Element“. Dabei haben die meisten Spiele, die ich kenne, etwas mit Wettbewerb zu tun. Wer kommt als erster ans Ziel? Wer sammelt die meisten Punkte? Wer kann sich durchsetzen? Ein Wir gibt es allenfalls in Mannschaften, die wiederum gegeneinander antreten. Klar, das kann eine Mordsgaudi ergeben, und auch ich lasse mich ja gerne immer wieder drauf ein. Aber das Kooperative, das gegenseitige Unterstützen, das Zusammenspiel – wie beim Federball: den Ball gemeinsam möglichst lange oben zu halten – das kommt doch auffallend selten vor und fehlt mir oft.

Einen subtilen Wettbewerb spüre ich auch häufig in „lockeren“ Gesprächs­runden. Ich wundere mich nicht darüber. Auftrumpfen, darstellen, gut ankommen, gut dastehen, sich behaupten, wetteifern – steckt das nicht doch noch ganz tief in uns? „Alpha-Tiere“, die das Sagen haben, spielen jedenfalls eine Rolle, in der kleinen Gesprächsrunde wie in der großen Politik: Wortführer, Meinungs­macher, Experten, Leistungs­träger, Rebellen, Redekünstler, Spassvögel. Auf der anderen Seite die Zuhörer und Zuschauer, die teils mit ihrer passiven Rolle zufrieden sind, teils auch gerne mal das Wort ergreifen würden, es aber einfach nicht zu fassen kriegen. Man muss halt sehen, wie man „mithalten“ kann. Spezies gegen Spezies, Team gegen Team, jeder gegen jeden. Zum Glück ist das nicht das einzige Grundprinzip der Evolution!

Es gilt, viele verschiedene Interessen­gruppen „an einen Tisch“ zu bringen. Am besten funktioniert es im wörtlichen Sinn, wenn gemeinsames Essen angesagt ist (global funktioniert genau das leider gar nicht). Oder jemand regt ein Spiel an: Dann ist eine kleine belustigende Heraus­forderung angesagt und alle Anwesenden nehmen sie entweder selbst an oder schauen wenigstens zu, wie andere sie annehmen und bewältigen.

Ich schlage folgendes Spiel vor:
Wenn eine Person spricht, hören alle anderen zu. Das geht auch ganz locker und wirklich spielerisch. Auch hier darf es hitzig oder gemächlich zugehen. Auch hier darf man auftrumpfen, wenn die Gelegenheit es erlaubt, oder sich zurückhalten, wenn einem danach ist. Dieses Spiel kann sogar zur Gewohnheit werden. Und aus dem energie­zehrenden Gerangel kann ein spürbar energie­spendendes Zusammenspiel werden.